falls von jener Ansteckung ergriffen wurde und nicht wenig davon litt. Er war von zarter Natur, still und eigensinnig, und wir hatten niemals ein eigentliches Verhältniß zusammen. Auch überlebte er kaum die Kinderjahre. Un¬ ter mehrern nachgebornen Geschwistern, die gleichfalls nicht lange am Leben blieben, erin¬ nere ich mich nur eines sehr schönen und an¬ genehmen Mädchens, die aber auch bald ver¬ schwand, da wir denn nach Verlauf einiger Jahre, ich und meine Schwester, uns allein übrig sahen, und nur um so inniger und lie¬ bevoller verbanden.
Jene Krankheiten und andere unangenehme Störungen wurden in ihren Folgen doppelt lästig: denn mein Vater, der sich einen ge¬ wissen Erziehungs- und Unterrichts-Calender gemacht zu haben schien, wollte jedes Ver¬ säumniß unmittelbar wieder einbringen, und be¬ legte die Genesenden mit doppelten Lectionen, welche zu leisten mir zwar nicht schwer, aber
falls von jener Anſteckung ergriffen wurde und nicht wenig davon litt. Er war von zarter Natur, ſtill und eigenſinnig, und wir hatten niemals ein eigentliches Verhaͤltniß zuſammen. Auch uͤberlebte er kaum die Kinderjahre. Un¬ ter mehrern nachgebornen Geſchwiſtern, die gleichfalls nicht lange am Leben blieben, erin¬ nere ich mich nur eines ſehr ſchoͤnen und an¬ genehmen Maͤdchens, die aber auch bald ver¬ ſchwand, da wir denn nach Verlauf einiger Jahre, ich und meine Schweſter, uns allein uͤbrig ſahen, und nur um ſo inniger und lie¬ bevoller verbanden.
Jene Krankheiten und andere unangenehme Stoͤrungen wurden in ihren Folgen doppelt laͤſtig: denn mein Vater, der ſich einen ge¬ wiſſen Erziehungs- und Unterrichts-Calender gemacht zu haben ſchien, wollte jedes Ver¬ ſaͤumniß unmittelbar wieder einbringen, und be¬ legte die Geneſenden mit doppelten Lectionen, welche zu leiſten mir zwar nicht ſchwer, aber
<TEI><text><body><p><pbfacs="#f0086"n="70"/>
falls von jener Anſteckung ergriffen wurde und<lb/>
nicht wenig davon litt. Er war von zarter<lb/>
Natur, ſtill und eigenſinnig, und wir hatten<lb/>
niemals ein eigentliches Verhaͤltniß zuſammen.<lb/>
Auch uͤberlebte er kaum die Kinderjahre. Un¬<lb/>
ter mehrern nachgebornen Geſchwiſtern, die<lb/>
gleichfalls nicht lange am Leben blieben, erin¬<lb/>
nere ich mich nur eines ſehr ſchoͤnen und an¬<lb/>
genehmen Maͤdchens, die aber auch bald ver¬<lb/>ſchwand, da wir denn nach Verlauf einiger<lb/>
Jahre, ich und meine Schweſter, uns allein<lb/>
uͤbrig ſahen, und nur um ſo inniger und lie¬<lb/>
bevoller verbanden.</p><lb/><p>Jene Krankheiten und andere unangenehme<lb/>
Stoͤrungen wurden in ihren Folgen doppelt<lb/>
laͤſtig: denn mein Vater, der ſich einen ge¬<lb/>
wiſſen Erziehungs- und Unterrichts-Calender<lb/>
gemacht zu haben ſchien, wollte jedes Ver¬<lb/>ſaͤumniß unmittelbar wieder einbringen, und be¬<lb/>
legte die Geneſenden mit doppelten Lectionen,<lb/>
welche zu leiſten mir zwar nicht ſchwer, aber<lb/></p></body></text></TEI>
[70/0086]
falls von jener Anſteckung ergriffen wurde und
nicht wenig davon litt. Er war von zarter
Natur, ſtill und eigenſinnig, und wir hatten
niemals ein eigentliches Verhaͤltniß zuſammen.
Auch uͤberlebte er kaum die Kinderjahre. Un¬
ter mehrern nachgebornen Geſchwiſtern, die
gleichfalls nicht lange am Leben blieben, erin¬
nere ich mich nur eines ſehr ſchoͤnen und an¬
genehmen Maͤdchens, die aber auch bald ver¬
ſchwand, da wir denn nach Verlauf einiger
Jahre, ich und meine Schweſter, uns allein
uͤbrig ſahen, und nur um ſo inniger und lie¬
bevoller verbanden.
Jene Krankheiten und andere unangenehme
Stoͤrungen wurden in ihren Folgen doppelt
laͤſtig: denn mein Vater, der ſich einen ge¬
wiſſen Erziehungs- und Unterrichts-Calender
gemacht zu haben ſchien, wollte jedes Ver¬
ſaͤumniß unmittelbar wieder einbringen, und be¬
legte die Geneſenden mit doppelten Lectionen,
welche zu leiſten mir zwar nicht ſchwer, aber
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/86>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.