ihrem Sinne gemäß gekleidet, ihr nun auch nach dem Munde reden sollte, und dabey doch deutlich sehen konnte, daß mir dagegen von alle dem wenig geleistet wurde, was ich mir von Unterricht und Sinnesförderung bey meinem academischen Aufenthalt versprochen hatte; so fing ich an lässig zu werden und die geselligen Pflichten der Besuche und son¬ stigen Attentionen zu versäumen, und ich wä¬ re noch früher aus allen solchen Verhältnissen herausgetreten, hätte mich nicht an Hofrath Böhmen Scheu und Achtung und an seine Gattinn Zutrauen und Neigung festgeknüpft. Der Gemahl hatte leider nicht die glückliche Gabe, mit jungen Leuten umzugehen, sich ihr Vertrauen zu erwerben und sie für den Au¬ genblick nach Bedürfniß zu leiten. Ich fand niemals Gewinn davon, wenn ich ihn besuch¬ te; seine Gattinn dagegen zeigte ein aufrich¬ tiges Interesse an mir. Ihre Kränklichkeit hielt sie stets zu Hause. Sie lud mich man¬ chen Abend zu sich und wußte mich, der ich
ihrem Sinne gemaͤß gekleidet, ihr nun auch nach dem Munde reden ſollte, und dabey doch deutlich ſehen konnte, daß mir dagegen von alle dem wenig geleiſtet wurde, was ich mir von Unterricht und Sinnesfoͤrderung bey meinem academiſchen Aufenthalt verſprochen hatte; ſo fing ich an laͤſſig zu werden und die geſelligen Pflichten der Beſuche und ſon¬ ſtigen Attentionen zu verſaͤumen, und ich waͤ¬ re noch fruͤher aus allen ſolchen Verhaͤltniſſen herausgetreten, haͤtte mich nicht an Hofrath Boͤhmen Scheu und Achtung und an ſeine Gattinn Zutrauen und Neigung feſtgeknuͤpft. Der Gemahl hatte leider nicht die gluͤckliche Gabe, mit jungen Leuten umzugehen, ſich ihr Vertrauen zu erwerben und ſie fuͤr den Au¬ genblick nach Beduͤrfniß zu leiten. Ich fand niemals Gewinn davon, wenn ich ihn beſuch¬ te; ſeine Gattinn dagegen zeigte ein aufrich¬ tiges Intereſſe an mir. Ihre Kraͤnklichkeit hielt ſie ſtets zu Hauſe. Sie lud mich man¬ chen Abend zu ſich und wußte mich, der ich
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ihrem Sinne gemaͤß gekleidet, ihr nun auch
nach dem Munde reden ſollte, und dabey
doch deutlich ſehen konnte, daß mir dagegen
von alle dem wenig geleiſtet wurde, was ich
mir von Unterricht und Sinnesfoͤrderung bey
meinem academiſchen Aufenthalt verſprochen
hatte; ſo fing ich an laͤſſig zu werden und
die geſelligen Pflichten der Beſuche und ſon¬
ſtigen Attentionen zu verſaͤumen, und ich waͤ¬
re noch fruͤher aus allen ſolchen Verhaͤltniſſen
herausgetreten, haͤtte mich nicht an Hofrath
Boͤhmen Scheu und Achtung und an ſeine
Gattinn Zutrauen und Neigung feſtgeknuͤpft.
Der Gemahl hatte leider nicht die gluͤckliche
Gabe, mit jungen Leuten umzugehen, ſich ihr
Vertrauen zu erwerben und ſie fuͤr den Au¬
genblick nach Beduͤrfniß zu leiten. Ich fand
niemals Gewinn davon, wenn ich ihn beſuch¬
te; ſeine Gattinn dagegen zeigte ein aufrich¬
tiges Intereſſe an mir. Ihre Kraͤnklichkeit
hielt ſie ſtets zu Hauſe. Sie lud mich man¬
chen Abend zu ſich und wußte mich, der ich
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/101>, abgerufen am 12.05.2024.
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