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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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selbst mit umzuwenden und dasjenige als todt
zu verspotten, was mir kurz vorher eine so
lebendige Freude gemacht hatte.

Diesen ihren Lehren kam, ohne es zu
wissen, der Professor Morus zu Hülfe, ein
ungemein sanfter und freundlicher Mann, den
ich an dem Tische des Hofraths Ludwig ken¬
nen lernte und der mich sehr gefällig aufnahm,
wenn ich mir die Freyheit ausbat, ihn zu be¬
suchen. Indem ich mich nun bey ihm um
das Alterthum erkundigte, so verbarg ich ihm
nicht, was mich unter den Neuern ergetzte;
da er denn mit mehr Ruhe als Madame
Böhme, was aber noch schlimmer war, mit
mehr Gründlichkeit über solche Dinge sprach
und mir, Anfangs zum größten Verdruß,
nachher aber doch zum Erstaunen und zuletzt
zur Erbauung die Augen öffnete.

Hiezu kamen noch die Jeremiaden, mit
denen uns Gellert in seinem Practicum von

II. 7

ſelbſt mit umzuwenden und dasjenige als todt
zu verſpotten, was mir kurz vorher eine ſo
lebendige Freude gemacht hatte.

Dieſen ihren Lehren kam, ohne es zu
wiſſen, der Profeſſor Morus zu Huͤlfe, ein
ungemein ſanfter und freundlicher Mann, den
ich an dem Tiſche des Hofraths Ludwig ken¬
nen lernte und der mich ſehr gefaͤllig aufnahm,
wenn ich mir die Freyheit ausbat, ihn zu be¬
ſuchen. Indem ich mich nun bey ihm um
das Alterthum erkundigte, ſo verbarg ich ihm
nicht, was mich unter den Neuern ergetzte;
da er denn mit mehr Ruhe als Madame
Boͤhme, was aber noch ſchlimmer war, mit
mehr Gruͤndlichkeit uͤber ſolche Dinge ſprach
und mir, Anfangs zum groͤßten Verdruß,
nachher aber doch zum Erſtaunen und zuletzt
zur Erbauung die Augen oͤffnete.

Hiezu kamen noch die Jeremiaden, mit
denen uns Gellert in ſeinem Practicum von

II. 7
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[97/0105] ſelbſt mit umzuwenden und dasjenige als todt zu verſpotten, was mir kurz vorher eine ſo lebendige Freude gemacht hatte. Dieſen ihren Lehren kam, ohne es zu wiſſen, der Profeſſor Morus zu Huͤlfe, ein ungemein ſanfter und freundlicher Mann, den ich an dem Tiſche des Hofraths Ludwig ken¬ nen lernte und der mich ſehr gefaͤllig aufnahm, wenn ich mir die Freyheit ausbat, ihn zu be¬ ſuchen. Indem ich mich nun bey ihm um das Alterthum erkundigte, ſo verbarg ich ihm nicht, was mich unter den Neuern ergetzte; da er denn mit mehr Ruhe als Madame Boͤhme, was aber noch ſchlimmer war, mit mehr Gruͤndlichkeit uͤber ſolche Dinge ſprach und mir, Anfangs zum groͤßten Verdruß, nachher aber doch zum Erſtaunen und zuletzt zur Erbauung die Augen oͤffnete. Hiezu kamen noch die Jeremiaden, mit denen uns Gellert in ſeinem Practicum von II. 7

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/105>, abgerufen am 11.05.2024.