Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Wie aber schon in dieser Epoche geniali¬
sche Werke entsprangen, so regte sich auch
hier der deutsche Frey- und Frohsinn. Die¬
ser, begleitet von einem aufrichtigen Ernste,
drang darauf, daß rein und natürlich, ohne
Einmischung fremder Worte, und wie es der
gemeine, verständliche Sinn gab, geschrieben
würde. Durch diese löblichen Bemühungen
ward jedoch der vaterländischen breiten Platt¬
heit Thür und Thor geöffnet, ja der Damm
durchstochen, durch welchen das große Ge¬
wässer zunächst eindringen sollte. Indessen
hielt ein steifer Pedantismus in allen vier
Facultäten lange Stand, bis er sich endlich
viel später aus einer in die andere flüchtete.

Gute Köpfe, freyaufblickende Naturkinder
hatten daher zwey Gegenstände, an denen sie
sich üben, gegen die sie wirken und, da die
Sache von keiner großen Bedeutung war,
ihren Muthwillen auslassen konnten; diese
waren eine durch fremde Worte, Wortbildun¬

Wie aber ſchon in dieſer Epoche geniali¬
ſche Werke entſprangen, ſo regte ſich auch
hier der deutſche Frey- und Frohſinn. Die¬
ſer, begleitet von einem aufrichtigen Ernſte,
drang darauf, daß rein und natuͤrlich, ohne
Einmiſchung fremder Worte, und wie es der
gemeine, verſtaͤndliche Sinn gab, geſchrieben
wuͤrde. Durch dieſe loͤblichen Bemuͤhungen
ward jedoch der vaterlaͤndiſchen breiten Platt¬
heit Thuͤr und Thor geoͤffnet, ja der Damm
durchſtochen, durch welchen das große Ge¬
waͤſſer zunaͤchſt eindringen ſollte. Indeſſen
hielt ein ſteifer Pedantismus in allen vier
Facultaͤten lange Stand, bis er ſich endlich
viel ſpaͤter aus einer in die andere fluͤchtete.

Gute Koͤpfe, freyaufblickende Naturkinder
hatten daher zwey Gegenſtaͤnde, an denen ſie
ſich uͤben, gegen die ſie wirken und, da die
Sache von keiner großen Bedeutung war,
ihren Muthwillen auslaſſen konnten; dieſe
waren eine durch fremde Worte, Wortbildun¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0116" n="108"/>
        <p>Wie aber &#x017F;chon in die&#x017F;er Epoche geniali¬<lb/>
&#x017F;che Werke ent&#x017F;prangen, &#x017F;o regte &#x017F;ich auch<lb/>
hier der deut&#x017F;che Frey- und Froh&#x017F;inn. Die¬<lb/>
&#x017F;er, begleitet von einem aufrichtigen Ern&#x017F;te,<lb/>
drang darauf, daß rein und natu&#x0364;rlich, ohne<lb/>
Einmi&#x017F;chung fremder Worte, und wie es der<lb/>
gemeine, ver&#x017F;ta&#x0364;ndliche Sinn gab, ge&#x017F;chrieben<lb/>
wu&#x0364;rde. Durch die&#x017F;e lo&#x0364;blichen Bemu&#x0364;hungen<lb/>
ward jedoch der vaterla&#x0364;ndi&#x017F;chen breiten Platt¬<lb/>
heit Thu&#x0364;r und Thor geo&#x0364;ffnet, ja der Damm<lb/>
durch&#x017F;tochen, durch welchen das große Ge¬<lb/>
wa&#x0364;&#x017F;&#x017F;er zuna&#x0364;ch&#x017F;t eindringen &#x017F;ollte. Inde&#x017F;&#x017F;en<lb/>
hielt ein &#x017F;teifer Pedantismus in allen vier<lb/>
Faculta&#x0364;ten lange Stand, bis er &#x017F;ich endlich<lb/>
viel &#x017F;pa&#x0364;ter aus einer in die andere flu&#x0364;chtete.</p><lb/>
        <p>Gute Ko&#x0364;pfe, freyaufblickende Naturkinder<lb/>
hatten daher zwey Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde, an denen &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich u&#x0364;ben, gegen die &#x017F;ie wirken und, da die<lb/>
Sache von keiner großen Bedeutung war,<lb/>
ihren Muthwillen ausla&#x017F;&#x017F;en konnten; die&#x017F;e<lb/>
waren eine durch fremde Worte, Wortbildun¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[108/0116] Wie aber ſchon in dieſer Epoche geniali¬ ſche Werke entſprangen, ſo regte ſich auch hier der deutſche Frey- und Frohſinn. Die¬ ſer, begleitet von einem aufrichtigen Ernſte, drang darauf, daß rein und natuͤrlich, ohne Einmiſchung fremder Worte, und wie es der gemeine, verſtaͤndliche Sinn gab, geſchrieben wuͤrde. Durch dieſe loͤblichen Bemuͤhungen ward jedoch der vaterlaͤndiſchen breiten Platt¬ heit Thuͤr und Thor geoͤffnet, ja der Damm durchſtochen, durch welchen das große Ge¬ waͤſſer zunaͤchſt eindringen ſollte. Indeſſen hielt ein ſteifer Pedantismus in allen vier Facultaͤten lange Stand, bis er ſich endlich viel ſpaͤter aus einer in die andere fluͤchtete. Gute Koͤpfe, freyaufblickende Naturkinder hatten daher zwey Gegenſtaͤnde, an denen ſie ſich uͤben, gegen die ſie wirken und, da die Sache von keiner großen Bedeutung war, ihren Muthwillen auslaſſen konnten; dieſe waren eine durch fremde Worte, Wortbildun¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/116
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/116>, abgerufen am 11.05.2024.