Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Am meisten entzückte uns die Schönheit
jenes Gedankens, daß die Alten den Tod als
den Bruder des Schlafs anerkannt, und bey¬
de, wie es Menächmen geziemt, zum Ver¬
wechseln gleich gebildet. Hier konnten wir
nun erst den Triumph des Schönen höchlich
feyern, und das Häßliche jeder Art, da es
doch einmal aus der Welt nicht zu vertreiben
ist, im Reiche der Kunst nur in den niedri¬
gen Kreis des Lächerlichen verweisen.

Die Herrlichkeit solcher Haupt- und Grund¬
begriffe erscheint nur dem Gemüth, auf wel¬
ches sie ihre unendliche Wirksamkeit ausüben,
erscheint nur der Zeit, in welcher sie ersehnt,
im rechten Augenblick hervortreten. Da be¬
schäftigen sich die, welchen mit solcher Nah¬
rung gedient ist, liebevoll ganze Epochen ih¬
res Lebens damit und erfreuen sich eines über¬
schwenglichen Wachsthums, indessen es nicht
an Menschen fehlt, die sich auf der Stelle
einer solchen Wirkung widersetzen, und nicht

Am meiſten entzuͤckte uns die Schoͤnheit
jenes Gedankens, daß die Alten den Tod als
den Bruder des Schlafs anerkannt, und bey¬
de, wie es Menaͤchmen geziemt, zum Ver¬
wechſeln gleich gebildet. Hier konnten wir
nun erſt den Triumph des Schoͤnen hoͤchlich
feyern, und das Haͤßliche jeder Art, da es
doch einmal aus der Welt nicht zu vertreiben
iſt, im Reiche der Kunſt nur in den niedri¬
gen Kreis des Laͤcherlichen verweiſen.

Die Herrlichkeit ſolcher Haupt- und Grund¬
begriffe erſcheint nur dem Gemuͤth, auf wel¬
ches ſie ihre unendliche Wirkſamkeit ausuͤben,
erſcheint nur der Zeit, in welcher ſie erſehnt,
im rechten Augenblick hervortreten. Da be¬
ſchaͤftigen ſich die, welchen mit ſolcher Nah¬
rung gedient iſt, liebevoll ganze Epochen ih¬
res Lebens damit und erfreuen ſich eines uͤber¬
ſchwenglichen Wachsthums, indeſſen es nicht
an Menſchen fehlt, die ſich auf der Stelle
einer ſolchen Wirkung widerſetzen, und nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0258" n="250"/>
        <p>Am mei&#x017F;ten entzu&#x0364;ckte uns die Scho&#x0364;nheit<lb/>
jenes Gedankens, daß die Alten den Tod als<lb/>
den Bruder des Schlafs anerkannt, und bey¬<lb/>
de, wie es Mena&#x0364;chmen geziemt, zum Ver¬<lb/>
wech&#x017F;eln gleich gebildet. Hier konnten wir<lb/>
nun er&#x017F;t den Triumph des Scho&#x0364;nen ho&#x0364;chlich<lb/>
feyern, und das Ha&#x0364;ßliche jeder Art, da es<lb/>
doch einmal aus der Welt nicht zu vertreiben<lb/>
i&#x017F;t, im Reiche der Kun&#x017F;t nur in den niedri¬<lb/>
gen Kreis des La&#x0364;cherlichen verwei&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Die Herrlichkeit &#x017F;olcher Haupt- und Grund¬<lb/>
begriffe er&#x017F;cheint nur dem Gemu&#x0364;th, auf wel¬<lb/>
ches &#x017F;ie ihre unendliche Wirk&#x017F;amkeit ausu&#x0364;ben,<lb/>
er&#x017F;cheint nur der Zeit, in welcher &#x017F;ie er&#x017F;ehnt,<lb/>
im rechten Augenblick hervortreten. Da be¬<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;ftigen &#x017F;ich die, welchen mit &#x017F;olcher Nah¬<lb/>
rung gedient i&#x017F;t, liebevoll ganze Epochen ih¬<lb/>
res Lebens damit und erfreuen &#x017F;ich eines u&#x0364;ber¬<lb/>
&#x017F;chwenglichen Wachsthums, inde&#x017F;&#x017F;en es nicht<lb/>
an Men&#x017F;chen fehlt, die &#x017F;ich auf der Stelle<lb/>
einer &#x017F;olchen Wirkung wider&#x017F;etzen, und nicht<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[250/0258] Am meiſten entzuͤckte uns die Schoͤnheit jenes Gedankens, daß die Alten den Tod als den Bruder des Schlafs anerkannt, und bey¬ de, wie es Menaͤchmen geziemt, zum Ver¬ wechſeln gleich gebildet. Hier konnten wir nun erſt den Triumph des Schoͤnen hoͤchlich feyern, und das Haͤßliche jeder Art, da es doch einmal aus der Welt nicht zu vertreiben iſt, im Reiche der Kunſt nur in den niedri¬ gen Kreis des Laͤcherlichen verweiſen. Die Herrlichkeit ſolcher Haupt- und Grund¬ begriffe erſcheint nur dem Gemuͤth, auf wel¬ ches ſie ihre unendliche Wirkſamkeit ausuͤben, erſcheint nur der Zeit, in welcher ſie erſehnt, im rechten Augenblick hervortreten. Da be¬ ſchaͤftigen ſich die, welchen mit ſolcher Nah¬ rung gedient iſt, liebevoll ganze Epochen ih¬ res Lebens damit und erfreuen ſich eines uͤber¬ ſchwenglichen Wachsthums, indeſſen es nicht an Menſchen fehlt, die ſich auf der Stelle einer ſolchen Wirkung widerſetzen, und nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/258
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/258>, abgerufen am 20.05.2024.