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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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denn unter allem diesen hatten meine körperli¬
chen Zustände nicht die beste Wendung genom¬
men. Schon von Hause hatte ich einen gewis¬
sen hypochondrischen Zug mitgebracht, der sich
in dem neuen sitzenden und schleichenden Leben
eher verstärkte als verschwächte. Der Schmerz
aus der Brust, den ich seit dem Auerstäd¬
ter Unfall von Zeit zu Zeit empfand und der,
nach einem Sturz mit dem Pferde, merklich ge¬
wachsen war, machte mich mismuthig. Durch
eine unglückliche Diät verdarb ich mir die Kräf¬
te der Verdauung; das schwere Merseburger
Bier verdüsterte mein Gehirn, der Caffee,
der mir eine ganz eigne triste Stimmung gab,
besonders mit Milch nach Tische genossen, pa¬
ralysirte meine Eingeweide und schien ihre
Functionen völlig aufzuheben, so daß ich des¬
halb große Beängstigungen empfand, ohne je¬
doch den Entschluß zu einer vernünftigeren Le¬
bensart fassen zu können. Meine Natur, von
hinlänglichen Kräften der Jugend unterstützt,
schwankte zwischen den Extremen von ausge¬

denn unter allem dieſen hatten meine koͤrperli¬
chen Zuſtaͤnde nicht die beſte Wendung genom¬
men. Schon von Hauſe hatte ich einen gewiſ¬
ſen hypochondriſchen Zug mitgebracht, der ſich
in dem neuen ſitzenden und ſchleichenden Leben
eher verſtaͤrkte als verſchwaͤchte. Der Schmerz
aus der Bruſt, den ich ſeit dem Auerſtaͤd¬
ter Unfall von Zeit zu Zeit empfand und der,
nach einem Sturz mit dem Pferde, merklich ge¬
wachſen war, machte mich mismuthig. Durch
eine ungluͤckliche Diaͤt verdarb ich mir die Kraͤf¬
te der Verdauung; das ſchwere Merſeburger
Bier verduͤſterte mein Gehirn, der Caffee,
der mir eine ganz eigne triſte Stimmung gab,
beſonders mit Milch nach Tiſche genoſſen, pa¬
ralyſirte meine Eingeweide und ſchien ihre
Functionen voͤllig aufzuheben, ſo daß ich des¬
halb große Beaͤngſtigungen empfand, ohne je¬
doch den Entſchluß zu einer vernuͤnftigeren Le¬
bensart faſſen zu koͤnnen. Meine Natur, von
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[281/0289] denn unter allem dieſen hatten meine koͤrperli¬ chen Zuſtaͤnde nicht die beſte Wendung genom¬ men. Schon von Hauſe hatte ich einen gewiſ¬ ſen hypochondriſchen Zug mitgebracht, der ſich in dem neuen ſitzenden und ſchleichenden Leben eher verſtaͤrkte als verſchwaͤchte. Der Schmerz aus der Bruſt, den ich ſeit dem Auerſtaͤd¬ ter Unfall von Zeit zu Zeit empfand und der, nach einem Sturz mit dem Pferde, merklich ge¬ wachſen war, machte mich mismuthig. Durch eine ungluͤckliche Diaͤt verdarb ich mir die Kraͤf¬ te der Verdauung; das ſchwere Merſeburger Bier verduͤſterte mein Gehirn, der Caffee, der mir eine ganz eigne triſte Stimmung gab, beſonders mit Milch nach Tiſche genoſſen, pa¬ ralyſirte meine Eingeweide und ſchien ihre Functionen voͤllig aufzuheben, ſo daß ich des¬ halb große Beaͤngſtigungen empfand, ohne je¬ doch den Entſchluß zu einer vernuͤnftigeren Le¬ bensart faſſen zu koͤnnen. Meine Natur, von hinlaͤnglichen Kraͤften der Jugend unterſtuͤtzt, ſchwankte zwiſchen den Extremen von ausge¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/289>, abgerufen am 21.11.2024.