höhere Stufe der Betrachtung und Einsicht gehoben. Der Vater hatte meine Briefe so¬ wohl an ihn als an meine Schwester sorg¬ fältig gesammlet und geheftet; ja er hatte sie sogar mit Aufmerksamkeit corrigirt und sowohl Schreib- als Sprachfehler verbessert.
Was mir zuerst an diesen Briefen auffiel, war das Aeußere; ich erschrak vor einer un¬ glaublichen Vernachlässigung der Handschrift, die sich vom October 1765 bis in die Hälfte des folgenden Januars erstreckte. Dann er¬ schien aber auf einmal in der Hälfte des Mär¬ zes eine ganz gefaßte, geordnete Hand, wie ich sie sonst bey Preisbewerbungen anzuwen¬ den pflegte. Meine Verwunderung darüber löste sich in Dank gegen den guten Gellert auf, welcher wie ich mich nun wohl erinnerte, uns bey den Aufsätzen, die wir ihm einreichten, mit seinem herzlichen Tone zur heiligen Pflicht machte, unsere Hand so sehr, ja mehr als unsern Styl, zu üben. Dieses wiederholte er
hoͤhere Stufe der Betrachtung und Einſicht gehoben. Der Vater hatte meine Briefe ſo¬ wohl an ihn als an meine Schweſter ſorg¬ faͤltig geſammlet und geheftet; ja er hatte ſie ſogar mit Aufmerkſamkeit corrigirt und ſowohl Schreib- als Sprachfehler verbeſſert.
Was mir zuerſt an dieſen Briefen auffiel, war das Aeußere; ich erſchrak vor einer un¬ glaublichen Vernachlaͤſſigung der Handſchrift, die ſich vom October 1765 bis in die Haͤlfte des folgenden Januars erſtreckte. Dann er¬ ſchien aber auf einmal in der Haͤlfte des Maͤr¬ zes eine ganz gefaßte, geordnete Hand, wie ich ſie ſonst bey Preisbewerbungen anzuwen¬ den pflegte. Meine Verwunderung daruͤber loͤſte ſich in Dank gegen den guten Gellert auf, welcher wie ich mich nun wohl erinnerte, uns bey den Aufſaͤtzen, die wir ihm einreichten, mit ſeinem herzlichen Tone zur heiligen Pflicht machte, unſere Hand ſo ſehr, ja mehr als unſern Styl, zu uͤben. Dieſes wiederholte er
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hoͤhere Stufe der Betrachtung und Einſicht
gehoben. Der Vater hatte meine Briefe ſo¬
wohl an ihn als an meine Schweſter ſorg¬
faͤltig geſammlet und geheftet; ja er hatte ſie
ſogar mit Aufmerkſamkeit corrigirt und ſowohl
Schreib- als Sprachfehler verbeſſert.
Was mir zuerſt an dieſen Briefen auffiel,
war das Aeußere; ich erſchrak vor einer un¬
glaublichen Vernachlaͤſſigung der Handſchrift,
die ſich vom October 1765 bis in die Haͤlfte
des folgenden Januars erſtreckte. Dann er¬
ſchien aber auf einmal in der Haͤlfte des Maͤr¬
zes eine ganz gefaßte, geordnete Hand, wie
ich ſie ſonst bey Preisbewerbungen anzuwen¬
den pflegte. Meine Verwunderung daruͤber
loͤſte ſich in Dank gegen den guten Gellert auf,
welcher wie ich mich nun wohl erinnerte, uns
bey den Aufſaͤtzen, die wir ihm einreichten,
mit ſeinem herzlichen Tone zur heiligen Pflicht
machte, unſere Hand ſo ſehr, ja mehr als
unſern Styl, zu uͤben. Dieſes wiederholte er
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/326>, abgerufen am 24.11.2024.
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