Lucifers befand, zugleich unbedingt und be¬ schränkt zu seyn, und da dieser Widerspruch durch alle Categorieen des Daseyns sich an ihm manifestiren und ein vollkommenes Bewußseyn so wie ein entschiedener Wille seine Zustände begleiten sollte; so war voraus zu sehen, daß er zugleich das Vollkommenste und Unvoll¬ kommenste, das glücklichste und unglücklichste Geschöpf werden müsse. Es währte nicht lan¬ ge, so spielte er auch völlig die Rolle des Lu¬ cifer. Die Absonderung vom Wohlthäter ist der eigentliche Undank, und so ward jener Abfall zum zweytenmal eminent, obgleich die ganze Schöpfung nichts ist und nichts war, als ein Abfallen und Zurückkehren zum Ur¬ sprünglichen.
Man sieht leicht, wie hier die Erlösung nicht allein von Ewigkeit her beschlossen, son¬ dern als ewig nothwendig gedacht wird, ja daß sie durch die ganze Zeit des Werdens und Seyns sich immer wieder erneuern muß. Nichts ist in diesem Sinne natürlicher, als
Lucifers befand, zugleich unbedingt und be¬ ſchraͤnkt zu ſeyn, und da dieſer Widerſpruch durch alle Categorieen des Daſeyns ſich an ihm manifeſtiren und ein vollkommenes Bewußſeyn ſo wie ein entſchiedener Wille ſeine Zuſtaͤnde begleiten ſollte; ſo war voraus zu ſehen, daß er zugleich das Vollkommenſte und Unvoll¬ kommenſte, das gluͤcklichſte und ungluͤcklichſte Geſchoͤpf werden muͤſſe. Es waͤhrte nicht lan¬ ge, ſo ſpielte er auch voͤllig die Rolle des Lu¬ cifer. Die Abſonderung vom Wohlthaͤter iſt der eigentliche Undank, und ſo ward jener Abfall zum zweytenmal eminent, obgleich die ganze Schoͤpfung nichts iſt und nichts war, als ein Abfallen und Zuruͤckkehren zum Ur¬ ſpruͤnglichen.
Man ſieht leicht, wie hier die Erloͤſung nicht allein von Ewigkeit her beſchloſſen, ſon¬ dern als ewig nothwendig gedacht wird, ja daß ſie durch die ganze Zeit des Werdens und Seyns ſich immer wieder erneuern muß. Nichts iſt in dieſem Sinne natuͤrlicher, als
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Lucifers befand, zugleich unbedingt und be¬
ſchraͤnkt zu ſeyn, und da dieſer Widerſpruch
durch alle Categorieen des Daſeyns ſich an ihm
manifeſtiren und ein vollkommenes Bewußſeyn
ſo wie ein entſchiedener Wille ſeine Zuſtaͤnde
begleiten ſollte; ſo war voraus zu ſehen, daß
er zugleich das Vollkommenſte und Unvoll¬
kommenſte, das gluͤcklichſte und ungluͤcklichſte
Geſchoͤpf werden muͤſſe. Es waͤhrte nicht lan¬
ge, ſo ſpielte er auch voͤllig die Rolle des Lu¬
cifer. Die Abſonderung vom Wohlthaͤter iſt
der eigentliche Undank, und ſo ward jener
Abfall zum zweytenmal eminent, obgleich die
ganze Schoͤpfung nichts iſt und nichts war,
als ein Abfallen und Zuruͤckkehren zum Ur¬
ſpruͤnglichen.
Man ſieht leicht, wie hier die Erloͤſung
nicht allein von Ewigkeit her beſchloſſen, ſon¬
dern als ewig nothwendig gedacht wird, ja
daß ſie durch die ganze Zeit des Werdens
und Seyns ſich immer wieder erneuern muß.
Nichts iſt in dieſem Sinne natuͤrlicher, als
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/343>, abgerufen am 24.11.2024.
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