Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

lich den Character der Gegend, in der wir
uns befinden, annehmen wird.

Herabgestiegen von der Höhe verweilte ich
noch eine Zeit lang vor dem Angesicht des
ehrwürdigen Gebäudes; aber was ich mir
weder das erste Mal, noch in der nächsten
Zeit ganz deutlich machen konnte, war, daß
ich dieses Wunderwerk als ein Ungeheures ge¬
wahrte, das mich hätte erschrecken müssen,
wenn es mir nicht zugleich als ein Geregeltes
faßlich und als ein Ausgearbeitetes sogar an¬
genehm vorgekommen wäre. Ich beschäftigte
mich doch keineswegs diesem Widerspruch
nachzudenken, sondern ließ ein so erstaunli¬
ches Denkmal durch seine Gegenwart ruhig
auf mich fortwirken.

Ich bezog ein kleines aber wohlgelegenes
und anmuthiges Quartier an der Sommer¬
seite des Fischmarkts, einer schönen langen
Straße, wo immerwährende Bewegung je¬

lich den Character der Gegend, in der wir
uns befinden, annehmen wird.

Herabgeſtiegen von der Hoͤhe verweilte ich
noch eine Zeit lang vor dem Angeſicht des
ehrwuͤrdigen Gebaͤudes; aber was ich mir
weder das erſte Mal, noch in der naͤchſten
Zeit ganz deutlich machen konnte, war, daß
ich dieſes Wunderwerk als ein Ungeheures ge¬
wahrte, das mich haͤtte erſchrecken muͤſſen,
wenn es mir nicht zugleich als ein Geregeltes
faßlich und als ein Ausgearbeitetes ſogar an¬
genehm vorgekommen waͤre. Ich beſchaͤftigte
mich doch keineswegs dieſem Widerſpruch
nachzudenken, ſondern ließ ein ſo erſtaunli¬
ches Denkmal durch ſeine Gegenwart ruhig
auf mich fortwirken.

Ich bezog ein kleines aber wohlgelegenes
und anmuthiges Quartier an der Sommer¬
ſeite des Fiſchmarkts, einer ſchoͤnen langen
Straße, wo immerwaͤhrende Bewegung je¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0357" n="349"/>
lich den Character der Gegend, in der wir<lb/>
uns befinden, annehmen wird.</p><lb/>
        <p>Herabge&#x017F;tiegen von der Ho&#x0364;he verweilte ich<lb/>
noch eine Zeit lang vor dem Ange&#x017F;icht des<lb/>
ehrwu&#x0364;rdigen Geba&#x0364;udes; aber was ich mir<lb/>
weder das er&#x017F;te Mal, noch in der na&#x0364;ch&#x017F;ten<lb/>
Zeit ganz deutlich machen konnte, war, daß<lb/>
ich die&#x017F;es Wunderwerk als ein Ungeheures ge¬<lb/>
wahrte, das mich ha&#x0364;tte er&#x017F;chrecken mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
wenn es mir nicht zugleich als ein Geregeltes<lb/>
faßlich und als ein Ausgearbeitetes &#x017F;ogar an¬<lb/>
genehm vorgekommen wa&#x0364;re. Ich be&#x017F;cha&#x0364;ftigte<lb/>
mich doch keineswegs die&#x017F;em Wider&#x017F;pruch<lb/>
nachzudenken, &#x017F;ondern ließ ein &#x017F;o er&#x017F;taunli¬<lb/>
ches Denkmal durch &#x017F;eine Gegenwart ruhig<lb/>
auf mich fortwirken.</p><lb/>
        <p>Ich bezog ein kleines aber wohlgelegenes<lb/>
und anmuthiges Quartier an der Sommer¬<lb/>
&#x017F;eite des Fi&#x017F;chmarkts, einer &#x017F;cho&#x0364;nen langen<lb/>
Straße, wo immerwa&#x0364;hrende Bewegung je¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[349/0357] lich den Character der Gegend, in der wir uns befinden, annehmen wird. Herabgeſtiegen von der Hoͤhe verweilte ich noch eine Zeit lang vor dem Angeſicht des ehrwuͤrdigen Gebaͤudes; aber was ich mir weder das erſte Mal, noch in der naͤchſten Zeit ganz deutlich machen konnte, war, daß ich dieſes Wunderwerk als ein Ungeheures ge¬ wahrte, das mich haͤtte erſchrecken muͤſſen, wenn es mir nicht zugleich als ein Geregeltes faßlich und als ein Ausgearbeitetes ſogar an¬ genehm vorgekommen waͤre. Ich beſchaͤftigte mich doch keineswegs dieſem Widerſpruch nachzudenken, ſondern ließ ein ſo erſtaunli¬ ches Denkmal durch ſeine Gegenwart ruhig auf mich fortwirken. Ich bezog ein kleines aber wohlgelegenes und anmuthiges Quartier an der Sommer¬ ſeite des Fiſchmarkts, einer ſchoͤnen langen Straße, wo immerwaͤhrende Bewegung je¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/357
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/357>, abgerufen am 20.05.2024.