sten und die complicirtesten. Die Medicin beschäftigt den ganzen Menschen, weil sie sich mit dem ganzen Menschen beschäftigt. Alles was der Jüngling lernt, deutet sogleich auf eine wichtige, zwar gefährliche, aber doch in manchem Sinn belohnende Praxis. Er wirft sich daher mit Leidenschaft auf das, was zu erkennen und zu thun ist, theils weil es ihn an sich interessirt, theils weil es ihm die frohe Aussicht von Selbstständigkeit und Wohlha¬ ben eröffnet.
Bey Tische also hörte ich nichts anderes als medicinische Gespräche, eben wie vormals in der Pension des Hofraths Ludwig. Auf Spazirgängen und bey Lustpartieen kam auch nicht viel anderes zur Sprache: denn meine Tischgesellen, als gute Kumpane, waren mir auch Gesellen für die übrige Zeit geworden, und an sie schlossen sich jedesmal Gleichgesinn¬ te und Gleiches Studirende von allen Seiten an. Die medicinische Facultät glänzte über¬
ſten und die complicirteſten. Die Medicin beſchaͤftigt den ganzen Menſchen, weil ſie ſich mit dem ganzen Menſchen beſchaͤftigt. Alles was der Juͤngling lernt, deutet ſogleich auf eine wichtige, zwar gefaͤhrliche, aber doch in manchem Sinn belohnende Praxis. Er wirft ſich daher mit Leidenſchaft auf das, was zu erkennen und zu thun iſt, theils weil es ihn an ſich intereſſirt, theils weil es ihm die frohe Ausſicht von Selbſtſtaͤndigkeit und Wohlha¬ ben eroͤffnet.
Bey Tiſche alſo hoͤrte ich nichts anderes als mediciniſche Geſpraͤche, eben wie vormals in der Penſion des Hofraths Ludwig. Auf Spazirgaͤngen und bey Luſtpartieen kam auch nicht viel anderes zur Sprache: denn meine Tiſchgeſellen, als gute Kumpane, waren mir auch Geſellen fuͤr die uͤbrige Zeit geworden, und an ſie ſchloſſen ſich jedesmal Gleichgeſinn¬ te und Gleiches Studirende von allen Seiten an. Die mediciniſche Facultaͤt glaͤnzte uͤber¬
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ſten und die complicirteſten. Die Medicin
beſchaͤftigt den ganzen Menſchen, weil ſie ſich
mit dem ganzen Menſchen beſchaͤftigt. Alles
was der Juͤngling lernt, deutet ſogleich auf
eine wichtige, zwar gefaͤhrliche, aber doch in
manchem Sinn belohnende Praxis. Er wirft
ſich daher mit Leidenſchaft auf das, was zu
erkennen und zu thun iſt, theils weil es ihn
an ſich intereſſirt, theils weil es ihm die frohe
Ausſicht von Selbſtſtaͤndigkeit und Wohlha¬
ben eroͤffnet.
Bey Tiſche alſo hoͤrte ich nichts anderes
als mediciniſche Geſpraͤche, eben wie vormals
in der Penſion des Hofraths Ludwig. Auf
Spazirgaͤngen und bey Luſtpartieen kam auch
nicht viel anderes zur Sprache: denn meine
Tiſchgeſellen, als gute Kumpane, waren mir
auch Geſellen fuͤr die uͤbrige Zeit geworden,
und an ſie ſchloſſen ſich jedesmal Gleichgeſinn¬
te und Gleiches Studirende von allen Seiten
an. Die mediciniſche Facultaͤt glaͤnzte uͤber¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/366>, abgerufen am 25.11.2024.
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