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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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ne Reise mich verhinderte dergleichen abzulas¬
sen, so fehlten sie überall. Er ging in gro¬
ßer Angst umher und vertraute es zuletzt un¬
sern nächsten Freunden, die sich nun in glei¬
cher Sorge befanden. Glücklicherweise gelang¬
te diese Vermuthung nicht eher zu meinen
Aeltern, als bis ein Brief angekommen war,
der meine Rückkehr nach Straßburg meldete.
Meine jungen Freunde waren zufrieden, mich
lebendig zu wissen, blieben aber völlig über¬
zeugt, daß ich in der Zwischenzeit in Paris
gewesen. Die herzlichen Nachrichten von den
Sorgen, die sie um meinetwillen gehabt,
rührten mich dermaßen, daß ich dergleichen
Possen auf ewig verschwor, mir aber doch
leider in der Folge manchmal etwas Aehnli¬
ches habe zu Schulden kommen lassen. Das
wirkliche Leben verliert oft dergestalt seinen
Glanz, daß man es manchmal mit dem Fir¬
niß der Fiction wieder auffrischen muß.

II. 24

ne Reiſe mich verhinderte dergleichen abzulaſ¬
ſen, ſo fehlten ſie uͤberall. Er ging in gro¬
ßer Angſt umher und vertraute es zuletzt un¬
ſern naͤchſten Freunden, die ſich nun in glei¬
cher Sorge befanden. Gluͤcklicherweiſe gelang¬
te dieſe Vermuthung nicht eher zu meinen
Aeltern, als bis ein Brief angekommen war,
der meine Ruͤckkehr nach Straßburg meldete.
Meine jungen Freunde waren zufrieden, mich
lebendig zu wiſſen, blieben aber voͤllig uͤber¬
zeugt, daß ich in der Zwiſchenzeit in Paris
geweſen. Die herzlichen Nachrichten von den
Sorgen, die ſie um meinetwillen gehabt,
ruͤhrten mich dermaßen, daß ich dergleichen
Poſſen auf ewig verſchwor, mir aber doch
leider in der Folge manchmal etwas Aehnli¬
ches habe zu Schulden kommen laſſen. Das
wirkliche Leben verliert oft dergeſtalt ſeinen
Glanz, daß man es manchmal mit dem Fir¬
niß der Fiction wieder auffriſchen muß.

II. 24
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[369/0377] ne Reiſe mich verhinderte dergleichen abzulaſ¬ ſen, ſo fehlten ſie uͤberall. Er ging in gro¬ ßer Angſt umher und vertraute es zuletzt un¬ ſern naͤchſten Freunden, die ſich nun in glei¬ cher Sorge befanden. Gluͤcklicherweiſe gelang¬ te dieſe Vermuthung nicht eher zu meinen Aeltern, als bis ein Brief angekommen war, der meine Ruͤckkehr nach Straßburg meldete. Meine jungen Freunde waren zufrieden, mich lebendig zu wiſſen, blieben aber voͤllig uͤber¬ zeugt, daß ich in der Zwiſchenzeit in Paris geweſen. Die herzlichen Nachrichten von den Sorgen, die ſie um meinetwillen gehabt, ruͤhrten mich dermaßen, daß ich dergleichen Poſſen auf ewig verſchwor, mir aber doch leider in der Folge manchmal etwas Aehnli¬ ches habe zu Schulden kommen laſſen. Das wirkliche Leben verliert oft dergeſtalt ſeinen Glanz, daß man es manchmal mit dem Fir¬ niß der Fiction wieder auffriſchen muß. II. 24

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/377>, abgerufen am 20.05.2024.