Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

tigsten, sich gehörig und gefällig auszudrücken.
In demselben Falle nun war der gute Jung.
Unter wenigen, wenn auch nicht gerade
Gleichgesinnten, doch solchen, die sich seiner
Denkweise nicht abgeneigt erklärten, fand
man ihn nicht allein redselig, sondern beredt;
besonders erzählte er seine Lebensgeschichte
auf das anmuthigste, und wußte dem Zuhö¬
rer alle Zustände deutlich und lebendig zu
vergegenwärtigen. Ich trieb ihn, solche auf¬
zuschreiben, und er versprach's. Weil er
aber in seiner Art sich zu äußern einem
Nachtwandler glich, den man nicht anrufen
darf, wenn er nicht von seiner Höhe herab¬
fallen, einem sanften Strom, dem man
nichts entgegenstellen darf, wenn er nicht
brausen soll; so mußte er sich in größerer
Gesellschaft oft unbehaglich fühlen. Sein
Glaube duldete keinen Zweifel und seine Ueber¬
zeugung keinen Spott. Und wenn er in
freundlicher Mittheilung unerschöpflich war;
so stockte gleich alles bey ihm, wenn er Wi¬

tigſten, ſich gehoͤrig und gefaͤllig auszudruͤcken.
In demſelben Falle nun war der gute Jung.
Unter wenigen, wenn auch nicht gerade
Gleichgeſinnten, doch ſolchen, die ſich ſeiner
Denkweiſe nicht abgeneigt erklaͤrten, fand
man ihn nicht allein redſelig, ſondern beredt;
beſonders erzaͤhlte er ſeine Lebensgeſchichte
auf das anmuthigſte, und wußte dem Zuhoͤ¬
rer alle Zuſtaͤnde deutlich und lebendig zu
vergegenwaͤrtigen. Ich trieb ihn, ſolche auf¬
zuſchreiben, und er verſprach's. Weil er
aber in ſeiner Art ſich zu aͤußern einem
Nachtwandler glich, den man nicht anrufen
darf, wenn er nicht von ſeiner Hoͤhe herab¬
fallen, einem ſanften Strom, dem man
nichts entgegenſtellen darf, wenn er nicht
brauſen ſoll; ſo mußte er ſich in groͤßerer
Geſellſchaft oft unbehaglich fuͤhlen. Sein
Glaube duldete keinen Zweifel und ſeine Ueber¬
zeugung keinen Spott. Und wenn er in
freundlicher Mittheilung unerſchoͤpflich war;
ſo ſtockte gleich alles bey ihm, wenn er Wi¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0390" n="382"/>
tig&#x017F;ten, &#x017F;ich geho&#x0364;rig und gefa&#x0364;llig auszudru&#x0364;cken.<lb/>
In dem&#x017F;elben Falle nun war der gute Jung.<lb/>
Unter wenigen, wenn auch nicht gerade<lb/>
Gleichge&#x017F;innten, doch &#x017F;olchen, die &#x017F;ich &#x017F;einer<lb/>
Denkwei&#x017F;e nicht abgeneigt erkla&#x0364;rten, fand<lb/>
man ihn nicht allein red&#x017F;elig, &#x017F;ondern beredt;<lb/>
be&#x017F;onders erza&#x0364;hlte er &#x017F;eine Lebensge&#x017F;chichte<lb/>
auf das anmuthig&#x017F;te, und wußte dem Zuho&#x0364;¬<lb/>
rer alle Zu&#x017F;ta&#x0364;nde deutlich und lebendig zu<lb/>
vergegenwa&#x0364;rtigen. Ich trieb ihn, &#x017F;olche auf¬<lb/>
zu&#x017F;chreiben, und er ver&#x017F;prach's. Weil er<lb/>
aber in &#x017F;einer Art &#x017F;ich zu a&#x0364;ußern einem<lb/>
Nachtwandler glich, den man nicht anrufen<lb/>
darf, wenn er nicht von &#x017F;einer Ho&#x0364;he herab¬<lb/>
fallen, einem &#x017F;anften Strom, dem man<lb/>
nichts entgegen&#x017F;tellen darf, wenn er nicht<lb/>
brau&#x017F;en &#x017F;oll; &#x017F;o mußte er &#x017F;ich in gro&#x0364;ßerer<lb/>
Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft oft unbehaglich fu&#x0364;hlen. Sein<lb/>
Glaube duldete keinen Zweifel und &#x017F;eine Ueber¬<lb/>
zeugung keinen Spott. Und wenn er in<lb/>
freundlicher Mittheilung uner&#x017F;cho&#x0364;pflich war;<lb/>
&#x017F;o &#x017F;tockte gleich alles bey ihm, wenn er Wi¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[382/0390] tigſten, ſich gehoͤrig und gefaͤllig auszudruͤcken. In demſelben Falle nun war der gute Jung. Unter wenigen, wenn auch nicht gerade Gleichgeſinnten, doch ſolchen, die ſich ſeiner Denkweiſe nicht abgeneigt erklaͤrten, fand man ihn nicht allein redſelig, ſondern beredt; beſonders erzaͤhlte er ſeine Lebensgeſchichte auf das anmuthigſte, und wußte dem Zuhoͤ¬ rer alle Zuſtaͤnde deutlich und lebendig zu vergegenwaͤrtigen. Ich trieb ihn, ſolche auf¬ zuſchreiben, und er verſprach's. Weil er aber in ſeiner Art ſich zu aͤußern einem Nachtwandler glich, den man nicht anrufen darf, wenn er nicht von ſeiner Hoͤhe herab¬ fallen, einem ſanften Strom, dem man nichts entgegenſtellen darf, wenn er nicht brauſen ſoll; ſo mußte er ſich in groͤßerer Geſellſchaft oft unbehaglich fuͤhlen. Sein Glaube duldete keinen Zweifel und ſeine Ueber¬ zeugung keinen Spott. Und wenn er in freundlicher Mittheilung unerſchoͤpflich war; ſo ſtockte gleich alles bey ihm, wenn er Wi¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/390
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/390>, abgerufen am 20.05.2024.