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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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ich mit mir selbst, mit den Gegenständen,
ja mit den Elementen im Streit lag. Ich
befand mich in einem Gesundheitszustand, der
mich bey allem was ich unternehmen wollte
und sollte hinreichend förderte; nur war mir
noch eine gewisse Reizbarkeit übrig geblieben,
die mich nicht immer im Gleichgewicht ließ.
Ein starker Schall war mir zuwider, krank¬
hafte Gegenstände erregten mir Ekel und Ab¬
scheu. Besonders aber ängstigte mich ein
Schwindel, der mich jedesmal befiel, wenn
ich von einer Höhe herunter blickte. Allen
diesen Mängeln suchte ich abzuhelfen, und
zwar, weil ich keine Zeit verlieren wollte,
auf eine etwas heftige Weise. Abends beym
Zapfenstreich ging ich neben der Menge Trom¬
meln her, deren gewaltsame Wirbel und Schlä¬
ge das Herz im Busen hätten zersprengen
mögen. Ich erstieg ganz allein den höchsten
Gipfel des Münsterthurms, und saß in dem
sogenannten Hals, unter dem Knopf oder der
Krone, wie man's nennt, wohl eine Viertel¬

ich mit mir ſelbſt, mit den Gegenſtaͤnden,
ja mit den Elementen im Streit lag. Ich
befand mich in einem Geſundheitszuſtand, der
mich bey allem was ich unternehmen wollte
und ſollte hinreichend foͤrderte; nur war mir
noch eine gewiſſe Reizbarkeit uͤbrig geblieben,
die mich nicht immer im Gleichgewicht ließ.
Ein ſtarker Schall war mir zuwider, krank¬
hafte Gegenſtaͤnde erregten mir Ekel und Ab¬
ſcheu. Beſonders aber aͤngſtigte mich ein
Schwindel, der mich jedesmal befiel, wenn
ich von einer Hoͤhe herunter blickte. Allen
dieſen Maͤngeln ſuchte ich abzuhelfen, und
zwar, weil ich keine Zeit verlieren wollte,
auf eine etwas heftige Weiſe. Abends beym
Zapfenſtreich ging ich neben der Menge Trom¬
meln her, deren gewaltſame Wirbel und Schlaͤ¬
ge das Herz im Buſen haͤtten zerſprengen
moͤgen. Ich erſtieg ganz allein den hoͤchſten
Gipfel des Muͤnſterthurms, und ſaß in dem
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[388/0396] ich mit mir ſelbſt, mit den Gegenſtaͤnden, ja mit den Elementen im Streit lag. Ich befand mich in einem Geſundheitszuſtand, der mich bey allem was ich unternehmen wollte und ſollte hinreichend foͤrderte; nur war mir noch eine gewiſſe Reizbarkeit uͤbrig geblieben, die mich nicht immer im Gleichgewicht ließ. Ein ſtarker Schall war mir zuwider, krank¬ hafte Gegenſtaͤnde erregten mir Ekel und Ab¬ ſcheu. Beſonders aber aͤngſtigte mich ein Schwindel, der mich jedesmal befiel, wenn ich von einer Hoͤhe herunter blickte. Allen dieſen Maͤngeln ſuchte ich abzuhelfen, und zwar, weil ich keine Zeit verlieren wollte, auf eine etwas heftige Weiſe. Abends beym Zapfenſtreich ging ich neben der Menge Trom¬ meln her, deren gewaltſame Wirbel und Schlaͤ¬ ge das Herz im Buſen haͤtten zerſprengen moͤgen. Ich erſtieg ganz allein den hoͤchſten Gipfel des Muͤnſterthurms, und ſaß in dem ſogenannten Hals, unter dem Knopf oder der Krone, wie man's nennt, wohl eine Viertel¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/396>, abgerufen am 28.11.2024.