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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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Den Unterricht dieses Lehrers erleichterte
jedoch ein Umstand gar sehr: er hatte näm¬
lich zwey Töchter, beyde hübsch und noch un¬
ter zwanzig Jahren. Von Jugend auf in
dieser Kunst unterrichtet zeigten sie sich darin
sehr gewandt und hätten als Moitie auch
dem ungeschicktesten Scholaren bald zu eini¬
ger Bildung verhelfen können. Sie waren
beyde sehr artig, sprachen nur französisch,
und ich nahm mich von meiner Seite zusam¬
men, um vor ihnen nicht linkisch und lächer¬
lich zu erscheinen. Ich hatte das Glück, daß
auch sie mich lobten, immer willig waren,
nach der kleinen Geige des Vaters eine Me¬
nuet zu tanzen, ja sogar, was ihnen freylich
beschwerlicher ward, mir nach und nach das
Walzen und Drehen einzulernen. Uebrigens
schien der Vater nicht viele Kunden zu haben,
und sie führten ein einsames Leben. Des¬
halb ersuchten sie mich manchmal nach der
Stunde bey ihnen zu bleiben und die Zeit
ein wenig zu verschwätzen; das ich denn auch

Den Unterricht dieſes Lehrers erleichterte
jedoch ein Umſtand gar ſehr: er hatte naͤm¬
lich zwey Toͤchter, beyde huͤbſch und noch un¬
ter zwanzig Jahren. Von Jugend auf in
dieſer Kunſt unterrichtet zeigten ſie ſich darin
ſehr gewandt und haͤtten als Moitie auch
dem ungeſchickteſten Scholaren bald zu eini¬
ger Bildung verhelfen koͤnnen. Sie waren
beyde ſehr artig, ſprachen nur franzoͤſiſch,
und ich nahm mich von meiner Seite zuſam¬
men, um vor ihnen nicht linkiſch und laͤcher¬
lich zu erſcheinen. Ich hatte das Gluͤck, daß
auch ſie mich lobten, immer willig waren,
nach der kleinen Geige des Vaters eine Me¬
nuet zu tanzen, ja ſogar, was ihnen freylich
beſchwerlicher ward, mir nach und nach das
Walzen und Drehen einzulernen. Uebrigens
ſchien der Vater nicht viele Kunden zu haben,
und ſie fuͤhrten ein einſames Leben. Des¬
halb erſuchten ſie mich manchmal nach der
Stunde bey ihnen zu bleiben und die Zeit
ein wenig zu verſchwaͤtzen; das ich denn auch

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[429/0437] Den Unterricht dieſes Lehrers erleichterte jedoch ein Umſtand gar ſehr: er hatte naͤm¬ lich zwey Toͤchter, beyde huͤbſch und noch un¬ ter zwanzig Jahren. Von Jugend auf in dieſer Kunſt unterrichtet zeigten ſie ſich darin ſehr gewandt und haͤtten als Moitie auch dem ungeſchickteſten Scholaren bald zu eini¬ ger Bildung verhelfen koͤnnen. Sie waren beyde ſehr artig, ſprachen nur franzoͤſiſch, und ich nahm mich von meiner Seite zuſam¬ men, um vor ihnen nicht linkiſch und laͤcher¬ lich zu erſcheinen. Ich hatte das Gluͤck, daß auch ſie mich lobten, immer willig waren, nach der kleinen Geige des Vaters eine Me¬ nuet zu tanzen, ja ſogar, was ihnen freylich beſchwerlicher ward, mir nach und nach das Walzen und Drehen einzulernen. Uebrigens ſchien der Vater nicht viele Kunden zu haben, und ſie fuͤhrten ein einſames Leben. Des¬ halb erſuchten ſie mich manchmal nach der Stunde bey ihnen zu bleiben und die Zeit ein wenig zu verſchwaͤtzen; das ich denn auch

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/437>, abgerufen am 24.11.2024.