Aelteste unter Ihnen; das mir Gott verzeihe! Schon habe ich eine Glatze, daran ist mein großes Nachdenken Schuld." --
Hier nahm er den Hut ab --
"Aber ich würde sie mit Freuden und Eh¬ ren zur Schau stellen, wenn meine eignen Ueberlegungen, die mir die Haut austrocknen und mich des schönsten Schmucks berauben, nur auch mir und Anderen einigermaßen för¬ derlich seyn könnten. Wir sind jung, meine Freunde, das ist schön; wir werden älter werden, das ist dumm; wir nehmen uns un¬ ter einander wenig übel, das ist hübsch und der Jahreszeit gemäß. Aber bald, meine Freunde, werden die Tage kommen, wo wir uns selbst manches übel zu nehmen haben: da mag denn jeder sehen, wie er mit sich zu¬ rechte kommt; aber zugleich werden uns andre manches übel nehmen, und zwar wo wir es gar nicht begreifen; darauf müssen wir
Aelteſte unter Ihnen; das mir Gott verzeihe! Schon habe ich eine Glatze, daran iſt mein großes Nachdenken Schuld.“ —
Hier nahm er den Hut ab —
„Aber ich wuͤrde ſie mit Freuden und Eh¬ ren zur Schau ſtellen, wenn meine eignen Ueberlegungen, die mir die Haut austrocknen und mich des ſchoͤnſten Schmucks berauben, nur auch mir und Anderen einigermaßen foͤr¬ derlich ſeyn koͤnnten. Wir ſind jung, meine Freunde, das iſt ſchoͤn; wir werden aͤlter werden, das iſt dumm; wir nehmen uns un¬ ter einander wenig uͤbel, das iſt huͤbſch und der Jahreszeit gemaͤß. Aber bald, meine Freunde, werden die Tage kommen, wo wir uns ſelbſt manches uͤbel zu nehmen haben: da mag denn jeder ſehen, wie er mit ſich zu¬ rechte kommt; aber zugleich werden uns andre manches uͤbel nehmen, und zwar wo wir es gar nicht begreifen; darauf muͤſſen wir
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0052"n="44"/>
Aelteſte unter Ihnen; das mir Gott verzeihe!<lb/>
Schon habe ich eine Glatze, daran iſt mein<lb/>
großes Nachdenken Schuld.“—</p><lb/><prendition="#et">Hier nahm er den Hut ab —</p><lb/><p>„Aber ich wuͤrde ſie mit Freuden und Eh¬<lb/>
ren zur Schau ſtellen, wenn meine eignen<lb/>
Ueberlegungen, die mir die Haut austrocknen<lb/>
und mich des ſchoͤnſten Schmucks berauben,<lb/>
nur auch mir und Anderen einigermaßen foͤr¬<lb/>
derlich ſeyn koͤnnten. Wir ſind jung, meine<lb/>
Freunde, das iſt ſchoͤn; wir werden aͤlter<lb/>
werden, das iſt dumm; wir nehmen uns un¬<lb/>
ter einander wenig uͤbel, das iſt huͤbſch und<lb/>
der Jahreszeit gemaͤß. Aber bald, meine<lb/>
Freunde, werden die Tage kommen, wo wir<lb/>
uns ſelbſt manches uͤbel zu nehmen haben:<lb/>
da mag denn jeder ſehen, wie er mit ſich zu¬<lb/>
rechte kommt; aber zugleich werden uns andre<lb/>
manches uͤbel nehmen, und zwar wo wir<lb/>
es gar nicht begreifen; darauf muͤſſen wir<lb/></p></div></body></text></TEI>
[44/0052]
Aelteſte unter Ihnen; das mir Gott verzeihe!
Schon habe ich eine Glatze, daran iſt mein
großes Nachdenken Schuld.“ —
Hier nahm er den Hut ab —
„Aber ich wuͤrde ſie mit Freuden und Eh¬
ren zur Schau ſtellen, wenn meine eignen
Ueberlegungen, die mir die Haut austrocknen
und mich des ſchoͤnſten Schmucks berauben,
nur auch mir und Anderen einigermaßen foͤr¬
derlich ſeyn koͤnnten. Wir ſind jung, meine
Freunde, das iſt ſchoͤn; wir werden aͤlter
werden, das iſt dumm; wir nehmen uns un¬
ter einander wenig uͤbel, das iſt huͤbſch und
der Jahreszeit gemaͤß. Aber bald, meine
Freunde, werden die Tage kommen, wo wir
uns ſelbſt manches uͤbel zu nehmen haben:
da mag denn jeder ſehen, wie er mit ſich zu¬
rechte kommt; aber zugleich werden uns andre
manches uͤbel nehmen, und zwar wo wir
es gar nicht begreifen; darauf muͤſſen wir
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/52>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.