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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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Aelteste unter Ihnen; das mir Gott verzeihe!
Schon habe ich eine Glatze, daran ist mein
großes Nachdenken Schuld." --

Hier nahm er den Hut ab --

"Aber ich würde sie mit Freuden und Eh¬
ren zur Schau stellen, wenn meine eignen
Ueberlegungen, die mir die Haut austrocknen
und mich des schönsten Schmucks berauben,
nur auch mir und Anderen einigermaßen för¬
derlich seyn könnten. Wir sind jung, meine
Freunde, das ist schön; wir werden älter
werden, das ist dumm; wir nehmen uns un¬
ter einander wenig übel, das ist hübsch und
der Jahreszeit gemäß. Aber bald, meine
Freunde, werden die Tage kommen, wo wir
uns selbst manches übel zu nehmen haben:
da mag denn jeder sehen, wie er mit sich zu¬
rechte kommt; aber zugleich werden uns andre
manches übel nehmen, und zwar wo wir
es gar nicht begreifen; darauf müssen wir

Aelteſte unter Ihnen; das mir Gott verzeihe!
Schon habe ich eine Glatze, daran iſt mein
großes Nachdenken Schuld.“ —

Hier nahm er den Hut ab —

„Aber ich wuͤrde ſie mit Freuden und Eh¬
ren zur Schau ſtellen, wenn meine eignen
Ueberlegungen, die mir die Haut austrocknen
und mich des ſchoͤnſten Schmucks berauben,
nur auch mir und Anderen einigermaßen foͤr¬
derlich ſeyn koͤnnten. Wir ſind jung, meine
Freunde, das iſt ſchoͤn; wir werden aͤlter
werden, das iſt dumm; wir nehmen uns un¬
ter einander wenig uͤbel, das iſt huͤbſch und
der Jahreszeit gemaͤß. Aber bald, meine
Freunde, werden die Tage kommen, wo wir
uns ſelbſt manches uͤbel zu nehmen haben:
da mag denn jeder ſehen, wie er mit ſich zu¬
rechte kommt; aber zugleich werden uns andre
manches uͤbel nehmen, und zwar wo wir
es gar nicht begreifen; darauf muͤſſen wir

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[44/0052] Aelteſte unter Ihnen; das mir Gott verzeihe! Schon habe ich eine Glatze, daran iſt mein großes Nachdenken Schuld.“ — Hier nahm er den Hut ab — „Aber ich wuͤrde ſie mit Freuden und Eh¬ ren zur Schau ſtellen, wenn meine eignen Ueberlegungen, die mir die Haut austrocknen und mich des ſchoͤnſten Schmucks berauben, nur auch mir und Anderen einigermaßen foͤr¬ derlich ſeyn koͤnnten. Wir ſind jung, meine Freunde, das iſt ſchoͤn; wir werden aͤlter werden, das iſt dumm; wir nehmen uns un¬ ter einander wenig uͤbel, das iſt huͤbſch und der Jahreszeit gemaͤß. Aber bald, meine Freunde, werden die Tage kommen, wo wir uns ſelbſt manches uͤbel zu nehmen haben: da mag denn jeder ſehen, wie er mit ſich zu¬ rechte kommt; aber zugleich werden uns andre manches uͤbel nehmen, und zwar wo wir es gar nicht begreifen; darauf muͤſſen wir

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/52>, abgerufen am 19.05.2024.