Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

unendlich ungern ich mich entfernte. Ich er¬
gab mich aber in mein Schicksal, vergegenwär¬
tigte mir den Spazirgang von gestern Abend mit
der größten Ruhe und nährte die stille Hoff¬
nung, Sie bald wieder zu sehn. Doch ver¬
wandelte sich dieses stille Gefühl bald wieder
in Ungeduld, und nun beschloß ist, schnell in
die Stadt zu reiten, mich umzuziehen, ein
gutes frisches Pferd zu nehmen; da ich denn
wohl allenfalls, wie mir die Leidenschaft vorspie¬
gelte, noch vor Tische, oder, wie es wahrschein¬
licher war, zum Nachtische oder gegen Abend ge¬
wiß wieder eintreffen und meine Vergebung er¬
bitten konnte.

Eben wollte ich meinem Pferde die Spo¬
ren geben, um diesen Vorsatz auszuführen,
als mir ein anderer und, wie mich däuchte,
sehr glücklicher Gedanke durch den Geist fuhr.
Schon gestern hatte ich im Gasthofe zu Dru¬
senheim einen sehr sauber gekleideten Wirths¬

unendlich ungern ich mich entfernte. Ich er¬
gab mich aber in mein Schickſal, vergegenwaͤr¬
tigte mir den Spazirgang von geſtern Abend mit
der groͤßten Ruhe und naͤhrte die ſtille Hoff¬
nung, Sie bald wieder zu ſehn. Doch ver¬
wandelte ſich dieſes ſtille Gefuͤhl bald wieder
in Ungeduld, und nun beſchloß iſt, ſchnell in
die Stadt zu reiten, mich umzuziehen, ein
gutes friſches Pferd zu nehmen; da ich denn
wohl allenfalls, wie mir die Leidenſchaft vorſpie¬
gelte, noch vor Tiſche, oder, wie es wahrſchein¬
licher war, zum Nachtiſche oder gegen Abend ge¬
wiß wieder eintreffen und meine Vergebung er¬
bitten konnte.

Eben wollte ich meinem Pferde die Spo¬
ren geben, um dieſen Vorſatz auszufuͤhren,
als mir ein anderer und, wie mich daͤuchte,
ſehr gluͤcklicher Gedanke durch den Geiſt fuhr.
Schon geſtern hatte ich im Gaſthofe zu Dru¬
ſenheim einen ſehr ſauber gekleideten Wirths¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0556" n="548"/>
unendlich ungern ich mich entfernte. Ich er¬<lb/>
gab mich aber in mein Schick&#x017F;al, vergegenwa&#x0364;<lb/>
tigte mir den Spazirgang von ge&#x017F;tern Abend mit<lb/>
der gro&#x0364;ßten Ruhe und na&#x0364;hrte die &#x017F;tille Hoff¬<lb/>
nung, Sie bald wieder zu &#x017F;ehn. Doch ver¬<lb/>
wandelte &#x017F;ich die&#x017F;es &#x017F;tille Gefu&#x0364;hl bald wieder<lb/>
in Ungeduld, und nun be&#x017F;chloß i&#x017F;t, &#x017F;chnell in<lb/>
die Stadt zu reiten, mich umzuziehen, ein<lb/>
gutes fri&#x017F;ches Pferd zu nehmen; da ich denn<lb/>
wohl allenfalls, wie mir die Leiden&#x017F;chaft vor&#x017F;pie¬<lb/>
gelte, noch vor Ti&#x017F;che, oder, wie es wahr&#x017F;chein¬<lb/>
licher war, zum Nachti&#x017F;che oder gegen Abend ge¬<lb/>
wiß wieder eintreffen und meine Vergebung er¬<lb/>
bitten konnte.</p><lb/>
        <p>Eben wollte ich meinem Pferde die Spo¬<lb/>
ren geben, um die&#x017F;en Vor&#x017F;atz auszufu&#x0364;hren,<lb/>
als mir ein anderer und, wie mich da&#x0364;uchte,<lb/>
&#x017F;ehr glu&#x0364;cklicher Gedanke durch den Gei&#x017F;t fuhr.<lb/>
Schon ge&#x017F;tern hatte ich im Ga&#x017F;thofe zu Dru¬<lb/>
&#x017F;enheim einen &#x017F;ehr &#x017F;auber gekleideten Wirths¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[548/0556] unendlich ungern ich mich entfernte. Ich er¬ gab mich aber in mein Schickſal, vergegenwaͤr¬ tigte mir den Spazirgang von geſtern Abend mit der groͤßten Ruhe und naͤhrte die ſtille Hoff¬ nung, Sie bald wieder zu ſehn. Doch ver¬ wandelte ſich dieſes ſtille Gefuͤhl bald wieder in Ungeduld, und nun beſchloß iſt, ſchnell in die Stadt zu reiten, mich umzuziehen, ein gutes friſches Pferd zu nehmen; da ich denn wohl allenfalls, wie mir die Leidenſchaft vorſpie¬ gelte, noch vor Tiſche, oder, wie es wahrſchein¬ licher war, zum Nachtiſche oder gegen Abend ge¬ wiß wieder eintreffen und meine Vergebung er¬ bitten konnte. Eben wollte ich meinem Pferde die Spo¬ ren geben, um dieſen Vorſatz auszufuͤhren, als mir ein anderer und, wie mich daͤuchte, ſehr gluͤcklicher Gedanke durch den Geiſt fuhr. Schon geſtern hatte ich im Gaſthofe zu Dru¬ ſenheim einen ſehr ſauber gekleideten Wirths¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/556
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 548. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/556>, abgerufen am 13.05.2024.