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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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unendlich ungern ich mich entfernte. Ich er¬
gab mich aber in mein Schicksal, vergegenwär¬
tigte mir den Spazirgang von gestern Abend mit
der größten Ruhe und nährte die stille Hoff¬
nung, Sie bald wieder zu sehn. Doch ver¬
wandelte sich dieses stille Gefühl bald wieder
in Ungeduld, und nun beschloß ist, schnell in
die Stadt zu reiten, mich umzuziehen, ein
gutes frisches Pferd zu nehmen; da ich denn
wohl allenfalls, wie mir die Leidenschaft vorspie¬
gelte, noch vor Tische, oder, wie es wahrschein¬
licher war, zum Nachtische oder gegen Abend ge¬
wiß wieder eintreffen und meine Vergebung er¬
bitten konnte.

Eben wollte ich meinem Pferde die Spo¬
ren geben, um diesen Vorsatz auszuführen,
als mir ein anderer und, wie mich däuchte,
sehr glücklicher Gedanke durch den Geist fuhr.
Schon gestern hatte ich im Gasthofe zu Dru¬
senheim einen sehr sauber gekleideten Wirths¬

unendlich ungern ich mich entfernte. Ich er¬
gab mich aber in mein Schickſal, vergegenwaͤr¬
tigte mir den Spazirgang von geſtern Abend mit
der groͤßten Ruhe und naͤhrte die ſtille Hoff¬
nung, Sie bald wieder zu ſehn. Doch ver¬
wandelte ſich dieſes ſtille Gefuͤhl bald wieder
in Ungeduld, und nun beſchloß iſt, ſchnell in
die Stadt zu reiten, mich umzuziehen, ein
gutes friſches Pferd zu nehmen; da ich denn
wohl allenfalls, wie mir die Leidenſchaft vorſpie¬
gelte, noch vor Tiſche, oder, wie es wahrſchein¬
licher war, zum Nachtiſche oder gegen Abend ge¬
wiß wieder eintreffen und meine Vergebung er¬
bitten konnte.

Eben wollte ich meinem Pferde die Spo¬
ren geben, um dieſen Vorſatz auszufuͤhren,
als mir ein anderer und, wie mich daͤuchte,
ſehr gluͤcklicher Gedanke durch den Geiſt fuhr.
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[548/0556] unendlich ungern ich mich entfernte. Ich er¬ gab mich aber in mein Schickſal, vergegenwaͤr¬ tigte mir den Spazirgang von geſtern Abend mit der groͤßten Ruhe und naͤhrte die ſtille Hoff¬ nung, Sie bald wieder zu ſehn. Doch ver¬ wandelte ſich dieſes ſtille Gefuͤhl bald wieder in Ungeduld, und nun beſchloß iſt, ſchnell in die Stadt zu reiten, mich umzuziehen, ein gutes friſches Pferd zu nehmen; da ich denn wohl allenfalls, wie mir die Leidenſchaft vorſpie¬ gelte, noch vor Tiſche, oder, wie es wahrſchein¬ licher war, zum Nachtiſche oder gegen Abend ge¬ wiß wieder eintreffen und meine Vergebung er¬ bitten konnte. Eben wollte ich meinem Pferde die Spo¬ ren geben, um dieſen Vorſatz auszufuͤhren, als mir ein anderer und, wie mich daͤuchte, ſehr gluͤcklicher Gedanke durch den Geiſt fuhr. Schon geſtern hatte ich im Gaſthofe zu Dru¬ ſenheim einen ſehr ſauber gekleideten Wirths¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 548. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/556>, abgerufen am 21.11.2024.