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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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die werthe Stadt, die mich geboren und er¬
zogen, gleichgültig hinter mir ließ, als wenn
ich sie nie wieder betreten wollte.

So lösen sich in gewissen Epochen Kinder
von Aeltern, Diener von Herren, Begünstigte
von Gönnern los, und ein solcher Versuch,
sich auf seine Füße zu stellen, sich unabhän¬
gig zu machen, für sein eigen Selbst zu leben,
er gelinge oder nicht, ist immer dem Wil¬
len der Natur gemäß.

Wir waren zur Allerheiligen-Pforte hin¬
ausgefahren und hatten bald Hanau hinter
uns, da ich denn zu Gegenden gelangte, die
durch ihre Neuheit meine Aufmerksamkeit er¬
regten, wenn sie auch in der jetzigen Jahrszeit
wenig Erfreuliches darboten. Ein anhaltender
Regen hatte die Wege äußert verdorben, welche
überhaupt noch nicht in den guten Stand ge¬
setzt waren, in welchem wir sie nachmals finden;
und unsere Reise war daher weder angenehm

II. 5

die werthe Stadt, die mich geboren und er¬
zogen, gleichguͤltig hinter mir ließ, als wenn
ich ſie nie wieder betreten wollte.

So loͤſen ſich in gewiſſen Epochen Kinder
von Aeltern, Diener von Herren, Beguͤnſtigte
von Goͤnnern los, und ein ſolcher Verſuch,
ſich auf ſeine Fuͤße zu ſtellen, ſich unabhaͤn¬
gig zu machen, fuͤr ſein eigen Selbſt zu leben,
er gelinge oder nicht, iſt immer dem Wil¬
len der Natur gemaͤß.

Wir waren zur Allerheiligen-Pforte hin¬
ausgefahren und hatten bald Hanau hinter
uns, da ich denn zu Gegenden gelangte, die
durch ihre Neuheit meine Aufmerkſamkeit er¬
regten, wenn ſie auch in der jetzigen Jahrszeit
wenig Erfreuliches darboten. Ein anhaltender
Regen hatte die Wege aͤußert verdorben, welche
uͤberhaupt noch nicht in den guten Stand ge¬
ſetzt waren, in welchem wir ſie nachmals finden;
und unſere Reiſe war daher weder angenehm

II. 5
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[65/0073] die werthe Stadt, die mich geboren und er¬ zogen, gleichguͤltig hinter mir ließ, als wenn ich ſie nie wieder betreten wollte. So loͤſen ſich in gewiſſen Epochen Kinder von Aeltern, Diener von Herren, Beguͤnſtigte von Goͤnnern los, und ein ſolcher Verſuch, ſich auf ſeine Fuͤße zu ſtellen, ſich unabhaͤn¬ gig zu machen, fuͤr ſein eigen Selbſt zu leben, er gelinge oder nicht, iſt immer dem Wil¬ len der Natur gemaͤß. Wir waren zur Allerheiligen-Pforte hin¬ ausgefahren und hatten bald Hanau hinter uns, da ich denn zu Gegenden gelangte, die durch ihre Neuheit meine Aufmerkſamkeit er¬ regten, wenn ſie auch in der jetzigen Jahrszeit wenig Erfreuliches darboten. Ein anhaltender Regen hatte die Wege aͤußert verdorben, welche uͤberhaupt noch nicht in den guten Stand ge¬ ſetzt waren, in welchem wir ſie nachmals finden; und unſere Reiſe war daher weder angenehm II. 5

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/73>, abgerufen am 21.11.2024.