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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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le von Einem Alter seyn; da aber die jünge¬
ren eigentlich nur lehren, um zu lernen, und
noch dazu, wenn sie gute Köpfe sind, dem
Zeitalter voreilen, so erwerben sie ihre Bil¬
dung durchaus auf Unkosten der Zuhörer, weil
diese nicht in dem unterrichtet werden was
sie eigentlich brauchen, sondern in dem was
der Lehrer für sich zu bearbeiten nöthig fin¬
det. Unter den ältesten Professoren dagegen
sind manche schon lange Zeit stationär; sie
überliefern im Ganzen nur fixe Ansichten,
und was das Einzelne betrifft, Vieles, was
die Zeit schon als unnütz und falsch verur¬
theilt hat. Durch beydes entsteht ein trauri¬
ger Conflict, zwischen welchem junge Geister
hin und her gezerrt werden, und welcher kaum
durch die Lehrer des mittleren Alters, die,
obschon genugsam unterrichtet und gebildet,
doch immer noch ein thätiges Streben zum
Wissen und Nachdenken bey sich empfinden,
ins Gleiche gebracht werden kann.

le von Einem Alter ſeyn; da aber die juͤnge¬
ren eigentlich nur lehren, um zu lernen, und
noch dazu, wenn ſie gute Koͤpfe ſind, dem
Zeitalter voreilen, ſo erwerben ſie ihre Bil¬
dung durchaus auf Unkoſten der Zuhoͤrer, weil
dieſe nicht in dem unterrichtet werden was
ſie eigentlich brauchen, ſondern in dem was
der Lehrer fuͤr ſich zu bearbeiten noͤthig fin¬
det. Unter den aͤlteſten Profeſſoren dagegen
ſind manche ſchon lange Zeit ſtationaͤr; ſie
uͤberliefern im Ganzen nur fixe Anſichten,
und was das Einzelne betrifft, Vieles, was
die Zeit ſchon als unnuͤtz und falſch verur¬
theilt hat. Durch beydes entſteht ein trauri¬
ger Conflict, zwiſchen welchem junge Geiſter
hin und her gezerrt werden, und welcher kaum
durch die Lehrer des mittleren Alters, die,
obſchon genugſam unterrichtet und gebildet,
doch immer noch ein thaͤtiges Streben zum
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ins Gleiche gebracht werden kann.

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[80/0088] le von Einem Alter ſeyn; da aber die juͤnge¬ ren eigentlich nur lehren, um zu lernen, und noch dazu, wenn ſie gute Koͤpfe ſind, dem Zeitalter voreilen, ſo erwerben ſie ihre Bil¬ dung durchaus auf Unkoſten der Zuhoͤrer, weil dieſe nicht in dem unterrichtet werden was ſie eigentlich brauchen, ſondern in dem was der Lehrer fuͤr ſich zu bearbeiten noͤthig fin¬ det. Unter den aͤlteſten Profeſſoren dagegen ſind manche ſchon lange Zeit ſtationaͤr; ſie uͤberliefern im Ganzen nur fixe Anſichten, und was das Einzelne betrifft, Vieles, was die Zeit ſchon als unnuͤtz und falſch verur¬ theilt hat. Durch beydes entſteht ein trauri¬ ger Conflict, zwiſchen welchem junge Geiſter hin und her gezerrt werden, und welcher kaum durch die Lehrer des mittleren Alters, die, obſchon genugſam unterrichtet und gebildet, doch immer noch ein thaͤtiges Streben zum Wiſſen und Nachdenken bey ſich empfinden, ins Gleiche gebracht werden kann.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/88>, abgerufen am 21.11.2024.