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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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Nach eifriger Betrachtung so vieler erha¬
benen plastischen Werke, sollte es mir auch
an einem Vorschmack antiker Architectur nicht
fehlen. Ich fand den Abguß eines Capitäls
der Rotonde, und ich leugne nicht, daß beym
Anblick jener so ungeheuren als eleganten
Acanthblätter mein Glaube an die nordische
Baukunst etwas zu wanken anfing.

Dieses große und bey mir durchs ganze
Leben wirksame frühzeitige Schauen war den¬
noch für die nächste Zeit von geringen Fol¬
gen. Wie gern hätte ich mit dieser Darstel¬
lung ein Buch angefangen, anstatt daß ich's
damit ende: denn kaum war die Thüre des
herrlichen Saals hinter mir zugeschlossen, so
wünschte ich mich selbst wieder zu finden, ja
ich suchte jene Gestalten eher, als lästig, aus
meiner Einbildungskraft zu entfernen, und
nur erst durch einen großen Umweg sollte ich
in diesen Kreis zurückgeführt werden. Indes¬
sen ist die stille Fruchtbarkeit solcher Eindrücke

Nach eifriger Betrachtung ſo vieler erha¬
benen plaſtiſchen Werke, ſollte es mir auch
an einem Vorſchmack antiker Architectur nicht
fehlen. Ich fand den Abguß eines Capitaͤls
der Rotonde, und ich leugne nicht, daß beym
Anblick jener ſo ungeheuren als eleganten
Acanthblaͤtter mein Glaube an die nordiſche
Baukunſt etwas zu wanken anfing.

Dieſes große und bey mir durchs ganze
Leben wirkſame fruͤhzeitige Schauen war den¬
noch fuͤr die naͤchſte Zeit von geringen Fol¬
gen. Wie gern haͤtte ich mit dieſer Darſtel¬
lung ein Buch angefangen, anſtatt daß ich's
damit ende: denn kaum war die Thuͤre des
herrlichen Saals hinter mir zugeſchloſſen, ſo
wuͤnſchte ich mich ſelbſt wieder zu finden, ja
ich ſuchte jene Geſtalten eher, als laͤſtig, aus
meiner Einbildungskraft zu entfernen, und
nur erſt durch einen großen Umweg ſollte ich
in dieſen Kreis zuruͤckgefuͤhrt werden. Indeſ¬
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[133/0141] Nach eifriger Betrachtung ſo vieler erha¬ benen plaſtiſchen Werke, ſollte es mir auch an einem Vorſchmack antiker Architectur nicht fehlen. Ich fand den Abguß eines Capitaͤls der Rotonde, und ich leugne nicht, daß beym Anblick jener ſo ungeheuren als eleganten Acanthblaͤtter mein Glaube an die nordiſche Baukunſt etwas zu wanken anfing. Dieſes große und bey mir durchs ganze Leben wirkſame fruͤhzeitige Schauen war den¬ noch fuͤr die naͤchſte Zeit von geringen Fol¬ gen. Wie gern haͤtte ich mit dieſer Darſtel¬ lung ein Buch angefangen, anſtatt daß ich's damit ende: denn kaum war die Thuͤre des herrlichen Saals hinter mir zugeſchloſſen, ſo wuͤnſchte ich mich ſelbſt wieder zu finden, ja ich ſuchte jene Geſtalten eher, als laͤſtig, aus meiner Einbildungskraft zu entfernen, und nur erſt durch einen großen Umweg ſollte ich in dieſen Kreis zuruͤckgefuͤhrt werden. Indeſ¬ ſen iſt die ſtille Fruchtbarkeit ſolcher Eindruͤcke

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/141>, abgerufen am 23.11.2024.