wieder zu den heiligen Schriften und zu Be¬ trachtung religiöser Gefühle und Meynungen hinleiten mußten. Die Bibel als ein zusam¬ mengetragenes, nach und nach entstandenes, zu verschiedenen Zeiten überarbeitetes Werk an¬ zusehn, schmeichelte meinem kleinen Dünkel, indem diese Vorstellungsart noch keineswegs herrschend, viel weniger in dem Kreis aufge¬ nommen war, in welchem ich lebte. Was den Hauptsinn betraf, hielt ich mich an Lu¬ thers Ausdruck, im Einzelnen ging ich wohl zur Schmidtischen wörtlichen Uebersetzung, und suchte mein weniges Hebräisch dabey so gut als möglich zu benutzen. Daß in der Bi¬ bel sich Widersprüche finden, wird jetzt Nie¬ mand in Abrede seyn. Diese suchte man da¬ durch auszugleichen, daß man die deutlichste Stelle zum Grunde legte, und die widerspre¬ chende, weniger klare jener anzuähnlichen be¬ müht war. Ich dagegen wollte durch Prü¬ fung herausfinden, welche Stelle den Sinn der Sache am meisten ausspräche; an diese
wieder zu den heiligen Schriften und zu Be¬ trachtung religioͤſer Gefuͤhle und Meynungen hinleiten mußten. Die Bibel als ein zuſam¬ mengetragenes, nach und nach entſtandenes, zu verſchiedenen Zeiten uͤberarbeitetes Werk an¬ zuſehn, ſchmeichelte meinem kleinen Duͤnkel, indem dieſe Vorſtellungsart noch keineswegs herrſchend, viel weniger in dem Kreis aufge¬ nommen war, in welchem ich lebte. Was den Hauptſinn betraf, hielt ich mich an Lu¬ thers Ausdruck, im Einzelnen ging ich wohl zur Schmidtiſchen woͤrtlichen Ueberſetzung, und ſuchte mein weniges Hebraͤiſch dabey ſo gut als moͤglich zu benutzen. Daß in der Bi¬ bel ſich Widerſpruͤche finden, wird jetzt Nie¬ mand in Abrede ſeyn. Dieſe ſuchte man da¬ durch auszugleichen, daß man die deutlichſte Stelle zum Grunde legte, und die widerſpre¬ chende, weniger klare jener anzuaͤhnlichen be¬ muͤht war. Ich dagegen wollte durch Pruͤ¬ fung herausfinden, welche Stelle den Sinn der Sache am meiſten ausſpraͤche; an dieſe
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[151/0159]
wieder zu den heiligen Schriften und zu Be¬
trachtung religioͤſer Gefuͤhle und Meynungen
hinleiten mußten. Die Bibel als ein zuſam¬
mengetragenes, nach und nach entſtandenes,
zu verſchiedenen Zeiten uͤberarbeitetes Werk an¬
zuſehn, ſchmeichelte meinem kleinen Duͤnkel,
indem dieſe Vorſtellungsart noch keineswegs
herrſchend, viel weniger in dem Kreis aufge¬
nommen war, in welchem ich lebte. Was
den Hauptſinn betraf, hielt ich mich an Lu¬
thers Ausdruck, im Einzelnen ging ich wohl
zur Schmidtiſchen woͤrtlichen Ueberſetzung,
und ſuchte mein weniges Hebraͤiſch dabey ſo
gut als moͤglich zu benutzen. Daß in der Bi¬
bel ſich Widerſpruͤche finden, wird jetzt Nie¬
mand in Abrede ſeyn. Dieſe ſuchte man da¬
durch auszugleichen, daß man die deutlichſte
Stelle zum Grunde legte, und die widerſpre¬
chende, weniger klare jener anzuaͤhnlichen be¬
muͤht war. Ich dagegen wollte durch Pruͤ¬
fung herausfinden, welche Stelle den Sinn
der Sache am meiſten ausſpraͤche; an dieſe
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/159>, abgerufen am 24.11.2024.
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