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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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jedoch der Verschlimmerung, dem Verderbniß
ausgesetzt: wie denn überhaupt keine Ueber¬
lieferung ihrer Natur nach ganz rein gegeben,
und wenn sie auch rein gegeben würde, in der
Folge jederzeit vollkommen verständlich seyn
könnte, jenes wegen Unzulänglichkeit der Or¬
gane, durch welche überliefert wird, dieses
wegen des Unterschieds der Zeiten, der Orte,
besonders aber wegen der Verschiedenheit
menschlicher Fähigkeiten und Denkweisen; wes¬
halb denn ja auch die Ausleger sich niemals
vergleichen werden.

Das Innere, Eigentliche einer Schrift,
die uns besonders zusagt, zu erforschen, sey
daher eines Jeden Sache, und dabey vor al¬
len Dingen zu erwägen, wie sie sich zu un¬
serm eignen Innern verhalte, und in wie fern
durch jene Lebenskraft die unsrige erregt und
befruchtet werde; alles Aeußere hingegen, was
auf uns unwirksam, oder einem Zweifel un¬
terworfen sey, habe man der Critik zu über¬

jedoch der Verſchlimmerung, dem Verderbniß
ausgeſetzt: wie denn uͤberhaupt keine Ueber¬
lieferung ihrer Natur nach ganz rein gegeben,
und wenn ſie auch rein gegeben wuͤrde, in der
Folge jederzeit vollkommen verſtaͤndlich ſeyn
koͤnnte, jenes wegen Unzulaͤnglichkeit der Or¬
gane, durch welche uͤberliefert wird, dieſes
wegen des Unterſchieds der Zeiten, der Orte,
beſonders aber wegen der Verſchiedenheit
menſchlicher Faͤhigkeiten und Denkweiſen; wes¬
halb denn ja auch die Ausleger ſich niemals
vergleichen werden.

Das Innere, Eigentliche einer Schrift,
die uns beſonders zuſagt, zu erforſchen, ſey
daher eines Jeden Sache, und dabey vor al¬
len Dingen zu erwaͤgen, wie ſie ſich zu un¬
ſerm eignen Innern verhalte, und in wie fern
durch jene Lebenskraft die unſrige erregt und
befruchtet werde; alles Aeußere hingegen, was
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[153/0161] jedoch der Verſchlimmerung, dem Verderbniß ausgeſetzt: wie denn uͤberhaupt keine Ueber¬ lieferung ihrer Natur nach ganz rein gegeben, und wenn ſie auch rein gegeben wuͤrde, in der Folge jederzeit vollkommen verſtaͤndlich ſeyn koͤnnte, jenes wegen Unzulaͤnglichkeit der Or¬ gane, durch welche uͤberliefert wird, dieſes wegen des Unterſchieds der Zeiten, der Orte, beſonders aber wegen der Verſchiedenheit menſchlicher Faͤhigkeiten und Denkweiſen; wes¬ halb denn ja auch die Ausleger ſich niemals vergleichen werden. Das Innere, Eigentliche einer Schrift, die uns beſonders zuſagt, zu erforſchen, ſey daher eines Jeden Sache, und dabey vor al¬ len Dingen zu erwaͤgen, wie ſie ſich zu un¬ ſerm eignen Innern verhalte, und in wie fern durch jene Lebenskraft die unſrige erregt und befruchtet werde; alles Aeußere hingegen, was auf uns unwirkſam, oder einem Zweifel un¬ terworfen ſey, habe man der Critik zu uͤber¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/161>, abgerufen am 24.11.2024.