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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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da gerade zu der Zeit dieß Haupt der Ritter¬
schaft abging, einen andern wählen und übte
durch diesen seinen Einfluß. So wußte er
auch manche kleine Zufälligkeiten dahin zu len¬
ken, daß sie bedeutend erschienen und in fa¬
belhaften Formen durchgeführt werden konn¬
ten. Bey diesem allen aber konnte man kei¬
nen ernsten Zweck bemerken; es war ihm bloß
zu thun, die Langeweile, die er und seine
Collegen bey dem verzögerten Geschäft empfin¬
den mußten, zu erheitern, und den leeren
Raum, wäre es auch nur mit Spinnegewebe,
auszufüllen. Uebrigens wurde dieses fabelhaf¬
te Fratzenspiel mit äußerlichem großen Ernst
betrieben, ohne daß Jemand lächerlich finden
durfte, wenn eine gewisse Mühle als Schloß,
der Müller als Burgherr behandelt wurde,
wenn man die vier Haimons-Kinder für ein
canonisches Buch erklärte und Abschnitte dar¬
aus, bey Ceremonien, mit Ehrfurcht vorlas.
Der Ritterschlag selbst geschah mit hergebrach¬
ten, von mehreren Ritterorden entlehnten

da gerade zu der Zeit dieß Haupt der Ritter¬
ſchaft abging, einen andern waͤhlen und uͤbte
durch dieſen ſeinen Einfluß. So wußte er
auch manche kleine Zufaͤlligkeiten dahin zu len¬
ken, daß ſie bedeutend erſchienen und in fa¬
belhaften Formen durchgefuͤhrt werden konn¬
ten. Bey dieſem allen aber konnte man kei¬
nen ernſten Zweck bemerken; es war ihm bloß
zu thun, die Langeweile, die er und ſeine
Collegen bey dem verzoͤgerten Geſchaͤft empfin¬
den mußten, zu erheitern, und den leeren
Raum, waͤre es auch nur mit Spinnegewebe,
auszufuͤllen. Uebrigens wurde dieſes fabelhaf¬
te Fratzenſpiel mit aͤußerlichem großen Ernſt
betrieben, ohne daß Jemand laͤcherlich finden
durfte, wenn eine gewiſſe Muͤhle als Schloß,
der Muͤller als Burgherr behandelt wurde,
wenn man die vier Haimons-Kinder fuͤr ein
canoniſches Buch erklaͤrte und Abſchnitte dar¬
aus, bey Ceremonien, mit Ehrfurcht vorlas.
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ten, von mehreren Ritterorden entlehnten

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[208/0216] da gerade zu der Zeit dieß Haupt der Ritter¬ ſchaft abging, einen andern waͤhlen und uͤbte durch dieſen ſeinen Einfluß. So wußte er auch manche kleine Zufaͤlligkeiten dahin zu len¬ ken, daß ſie bedeutend erſchienen und in fa¬ belhaften Formen durchgefuͤhrt werden konn¬ ten. Bey dieſem allen aber konnte man kei¬ nen ernſten Zweck bemerken; es war ihm bloß zu thun, die Langeweile, die er und ſeine Collegen bey dem verzoͤgerten Geſchaͤft empfin¬ den mußten, zu erheitern, und den leeren Raum, waͤre es auch nur mit Spinnegewebe, auszufuͤllen. Uebrigens wurde dieſes fabelhaf¬ te Fratzenſpiel mit aͤußerlichem großen Ernſt betrieben, ohne daß Jemand laͤcherlich finden durfte, wenn eine gewiſſe Muͤhle als Schloß, der Muͤller als Burgherr behandelt wurde, wenn man die vier Haimons-Kinder fuͤr ein canoniſches Buch erklaͤrte und Abſchnitte dar¬ aus, bey Ceremonien, mit Ehrfurcht vorlas. Der Ritterſchlag ſelbſt geſchah mit hergebrach¬ ten, von mehreren Ritterorden entlehnten

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/216>, abgerufen am 27.11.2024.