da gerade zu der Zeit dieß Haupt der Ritter¬ schaft abging, einen andern wählen und übte durch diesen seinen Einfluß. So wußte er auch manche kleine Zufälligkeiten dahin zu len¬ ken, daß sie bedeutend erschienen und in fa¬ belhaften Formen durchgeführt werden konn¬ ten. Bey diesem allen aber konnte man kei¬ nen ernsten Zweck bemerken; es war ihm bloß zu thun, die Langeweile, die er und seine Collegen bey dem verzögerten Geschäft empfin¬ den mußten, zu erheitern, und den leeren Raum, wäre es auch nur mit Spinnegewebe, auszufüllen. Uebrigens wurde dieses fabelhaf¬ te Fratzenspiel mit äußerlichem großen Ernst betrieben, ohne daß Jemand lächerlich finden durfte, wenn eine gewisse Mühle als Schloß, der Müller als Burgherr behandelt wurde, wenn man die vier Haimons-Kinder für ein canonisches Buch erklärte und Abschnitte dar¬ aus, bey Ceremonien, mit Ehrfurcht vorlas. Der Ritterschlag selbst geschah mit hergebrach¬ ten, von mehreren Ritterorden entlehnten
da gerade zu der Zeit dieß Haupt der Ritter¬ ſchaft abging, einen andern waͤhlen und uͤbte durch dieſen ſeinen Einfluß. So wußte er auch manche kleine Zufaͤlligkeiten dahin zu len¬ ken, daß ſie bedeutend erſchienen und in fa¬ belhaften Formen durchgefuͤhrt werden konn¬ ten. Bey dieſem allen aber konnte man kei¬ nen ernſten Zweck bemerken; es war ihm bloß zu thun, die Langeweile, die er und ſeine Collegen bey dem verzoͤgerten Geſchaͤft empfin¬ den mußten, zu erheitern, und den leeren Raum, waͤre es auch nur mit Spinnegewebe, auszufuͤllen. Uebrigens wurde dieſes fabelhaf¬ te Fratzenſpiel mit aͤußerlichem großen Ernſt betrieben, ohne daß Jemand laͤcherlich finden durfte, wenn eine gewiſſe Muͤhle als Schloß, der Muͤller als Burgherr behandelt wurde, wenn man die vier Haimons-Kinder fuͤr ein canoniſches Buch erklaͤrte und Abſchnitte dar¬ aus, bey Ceremonien, mit Ehrfurcht vorlas. Der Ritterſchlag ſelbſt geſchah mit hergebrach¬ ten, von mehreren Ritterorden entlehnten
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0216"n="208"/>
da gerade zu der Zeit dieß Haupt der Ritter¬<lb/>ſchaft abging, einen andern waͤhlen und uͤbte<lb/>
durch dieſen ſeinen Einfluß. So wußte er<lb/>
auch manche kleine Zufaͤlligkeiten dahin zu len¬<lb/>
ken, daß ſie bedeutend erſchienen und in fa¬<lb/>
belhaften Formen durchgefuͤhrt werden konn¬<lb/>
ten. Bey dieſem allen aber konnte man kei¬<lb/>
nen ernſten Zweck bemerken; es war ihm bloß<lb/>
zu thun, die Langeweile, die er und ſeine<lb/>
Collegen bey dem verzoͤgerten Geſchaͤft empfin¬<lb/>
den mußten, zu erheitern, und den leeren<lb/>
Raum, waͤre es auch nur mit Spinnegewebe,<lb/>
auszufuͤllen. Uebrigens wurde dieſes fabelhaf¬<lb/>
te Fratzenſpiel mit aͤußerlichem großen Ernſt<lb/>
betrieben, ohne daß Jemand laͤcherlich finden<lb/>
durfte, wenn eine gewiſſe Muͤhle als Schloß,<lb/>
der Muͤller als Burgherr behandelt wurde,<lb/>
wenn man die vier Haimons-Kinder fuͤr ein<lb/>
canoniſches Buch erklaͤrte und Abſchnitte dar¬<lb/>
aus, bey Ceremonien, mit Ehrfurcht vorlas.<lb/>
Der Ritterſchlag ſelbſt geſchah mit hergebrach¬<lb/>
ten, von mehreren Ritterorden entlehnten<lb/></p></div></body></text></TEI>
[208/0216]
da gerade zu der Zeit dieß Haupt der Ritter¬
ſchaft abging, einen andern waͤhlen und uͤbte
durch dieſen ſeinen Einfluß. So wußte er
auch manche kleine Zufaͤlligkeiten dahin zu len¬
ken, daß ſie bedeutend erſchienen und in fa¬
belhaften Formen durchgefuͤhrt werden konn¬
ten. Bey dieſem allen aber konnte man kei¬
nen ernſten Zweck bemerken; es war ihm bloß
zu thun, die Langeweile, die er und ſeine
Collegen bey dem verzoͤgerten Geſchaͤft empfin¬
den mußten, zu erheitern, und den leeren
Raum, waͤre es auch nur mit Spinnegewebe,
auszufuͤllen. Uebrigens wurde dieſes fabelhaf¬
te Fratzenſpiel mit aͤußerlichem großen Ernſt
betrieben, ohne daß Jemand laͤcherlich finden
durfte, wenn eine gewiſſe Muͤhle als Schloß,
der Muͤller als Burgherr behandelt wurde,
wenn man die vier Haimons-Kinder fuͤr ein
canoniſches Buch erklaͤrte und Abſchnitte dar¬
aus, bey Ceremonien, mit Ehrfurcht vorlas.
Der Ritterſchlag ſelbſt geſchah mit hergebrach¬
ten, von mehreren Ritterorden entlehnten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/216>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.