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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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drein mit einem schmählichen, unvermeidlichen
Untergang zu bedrohen.

Ein ähnliches wo nicht gleiches Interesse
gewannen mir die indischen Fabeln ab, die ich
aus Dappers Reisen zuerst kennen lernte,
und gleichfalls mit großer Lust in meinen
Mährchenvorrath hineinzog. Der Altar des
Ram gelang mir vorzüglich im Nacherzählen,
und ungeachtet der großen Mannigfaltigkeit
der Personen dieses Mährchens, blieb doch
der Affe Hannemann der Liebling meines
Publicums. Aber auch diese unförmlichen und
überförmlichen Ungeheuer konnten mich nicht
eigentlich poetisch befriedigen; sie lagen zu
weit von dem Wahren ab, nach welchem mein
Sinn unablässig hinstrebte.

Doch gegen alle diese kunstwidrigen Ge¬
spenster sollte mein Sinn für das Schöne
durch die herrlichste Kraft geschützt werden.
Glücklich ist immer die Epoche einer Literatur,

drein mit einem ſchmaͤhlichen, unvermeidlichen
Untergang zu bedrohen.

Ein aͤhnliches wo nicht gleiches Intereſſe
gewannen mir die indiſchen Fabeln ab, die ich
aus Dappers Reiſen zuerſt kennen lernte,
und gleichfalls mit großer Luſt in meinen
Maͤhrchenvorrath hineinzog. Der Altar des
Ram gelang mir vorzuͤglich im Nacherzaͤhlen,
und ungeachtet der großen Mannigfaltigkeit
der Perſonen dieſes Maͤhrchens, blieb doch
der Affe Hannemann der Liebling meines
Publicums. Aber auch dieſe unfoͤrmlichen und
uͤberfoͤrmlichen Ungeheuer konnten mich nicht
eigentlich poetiſch befriedigen; ſie lagen zu
weit von dem Wahren ab, nach welchem mein
Sinn unablaͤſſig hinſtrebte.

Doch gegen alle dieſe kunſtwidrigen Ge¬
ſpenſter ſollte mein Sinn fuͤr das Schoͤne
durch die herrlichſte Kraft geſchuͤtzt werden.
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[220/0228] drein mit einem ſchmaͤhlichen, unvermeidlichen Untergang zu bedrohen. Ein aͤhnliches wo nicht gleiches Intereſſe gewannen mir die indiſchen Fabeln ab, die ich aus Dappers Reiſen zuerſt kennen lernte, und gleichfalls mit großer Luſt in meinen Maͤhrchenvorrath hineinzog. Der Altar des Ram gelang mir vorzuͤglich im Nacherzaͤhlen, und ungeachtet der großen Mannigfaltigkeit der Perſonen dieſes Maͤhrchens, blieb doch der Affe Hannemann der Liebling meines Publicums. Aber auch dieſe unfoͤrmlichen und uͤberfoͤrmlichen Ungeheuer konnten mich nicht eigentlich poetiſch befriedigen; ſie lagen zu weit von dem Wahren ab, nach welchem mein Sinn unablaͤſſig hinſtrebte. Doch gegen alle dieſe kunſtwidrigen Ge¬ ſpenſter ſollte mein Sinn fuͤr das Schoͤne durch die herrlichſte Kraft geſchuͤtzt werden. Gluͤcklich iſt immer die Epoche einer Literatur,

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/228>, abgerufen am 27.11.2024.