nem Fach, als denkender und wackerer Mann, von Merken und Schlossern anerkannt und höchlich geehrt. Schon längst hatte ich seine Bekanntschaft gewünscht, und nun, als jene beyden Freunde bey ihm einen Besuch abzu¬ statten gedachten, um über literarische Gegen¬ stände zu unterhandeln, ward beliebt, daß ich, bey dieser Gelegenheit, mich gleichfalls nach Gießen begeben sollte. Weil wir aber, wie es in dem Uebermuth froher und friedlicher Zeiten zu geschehn pflegt, nicht leicht etwas auf geradem Wege vollbringen konnten, son¬ dern, wie wahrhafte Kinder, auch dem Noth¬ wendigen irgend einen Scherz abzugewinnen suchten; so sollte ich, als der Unbekannte, in fremder Gestalt erscheinen, und meiner Lust verkleidet aufzutreten, hier abermals Genüge thun. An einem heiteren Morgen, vor Son¬ nenaufgang, schritt ich daher von Wetzlar an der Lahn hin, das liebliche Thal hinauf; solche Wanderungen machten wieder mein größtes Glück. Ich erfand, verknüpfte, ar¬
nem Fach, als denkender und wackerer Mann, von Merken und Schloſſern anerkannt und hoͤchlich geehrt. Schon laͤngſt hatte ich ſeine Bekanntſchaft gewuͤnſcht, und nun, als jene beyden Freunde bey ihm einen Beſuch abzu¬ ſtatten gedachten, um uͤber literariſche Gegen¬ ſtaͤnde zu unterhandeln, ward beliebt, daß ich, bey dieſer Gelegenheit, mich gleichfalls nach Gießen begeben ſollte. Weil wir aber, wie es in dem Uebermuth froher und friedlicher Zeiten zu geſchehn pflegt, nicht leicht etwas auf geradem Wege vollbringen konnten, ſon¬ dern, wie wahrhafte Kinder, auch dem Noth¬ wendigen irgend einen Scherz abzugewinnen ſuchten; ſo ſollte ich, als der Unbekannte, in fremder Geſtalt erſcheinen, und meiner Luſt verkleidet aufzutreten, hier abermals Genuͤge thun. An einem heiteren Morgen, vor Son¬ nenaufgang, ſchritt ich daher von Wetzlar an der Lahn hin, das liebliche Thal hinauf; ſolche Wanderungen machten wieder mein groͤßtes Gluͤck. Ich erfand, verknuͤpfte, ar¬
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nem Fach, als denkender und wackerer Mann,
von Merken und Schloſſern anerkannt und
hoͤchlich geehrt. Schon laͤngſt hatte ich ſeine
Bekanntſchaft gewuͤnſcht, und nun, als jene
beyden Freunde bey ihm einen Beſuch abzu¬
ſtatten gedachten, um uͤber literariſche Gegen¬
ſtaͤnde zu unterhandeln, ward beliebt, daß ich,
bey dieſer Gelegenheit, mich gleichfalls nach
Gießen begeben ſollte. Weil wir aber, wie
es in dem Uebermuth froher und friedlicher
Zeiten zu geſchehn pflegt, nicht leicht etwas
auf geradem Wege vollbringen konnten, ſon¬
dern, wie wahrhafte Kinder, auch dem Noth¬
wendigen irgend einen Scherz abzugewinnen
ſuchten; ſo ſollte ich, als der Unbekannte, in
fremder Geſtalt erſcheinen, und meiner Luſt
verkleidet aufzutreten, hier abermals Genuͤge
thun. An einem heiteren Morgen, vor Son¬
nenaufgang, ſchritt ich daher von Wetzlar an
der Lahn hin, das liebliche Thal hinauf;
ſolche Wanderungen machten wieder mein
groͤßtes Gluͤck. Ich erfand, verknuͤpfte, ar¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/250>, abgerufen am 23.11.2024.
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