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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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Eine andere Uebung die der Graf seinem
Zögling zumuthete, wird nicht so allgemeinen
Beyfall finden. Laroche nämlich hatte sich
üben müssen, die Hand seines Herrn und
Meisters aufs genauste nachzuahmen, um ihn
dadurch der Qual des Selbstschreibens zu
überheben. Allein nicht nur in Geschäften
sollte dieses Talent genutzt werden, auch in
Liebeshändeln hatte der junge Mann die Stel¬
le seines Lehrers zu vertreten. Der Graf
war leidenschaftlich einer hohen und geistrei¬
chen Dame verbunden. Wenn er in deren
Gesellschaft bis tief in die Nacht verweilte,
saß indessen sein Secretair zu Hause und
schmiedete die heißesten Liebesbriefe; darunter
wählte der Graf und sendete noch gleich zur
Nachtzeit das Blatt an seine Geliebte, wel¬
che sich denn doch wohl daran von dem un¬
verwüstlichen Feuer ihres leidenschaftlichen An¬
beters überzeugen mußte. Dergleichen frühe
Erfahrungen mochten denn freylich dem Jüng¬

Eine andere Uebung die der Graf ſeinem
Zoͤgling zumuthete, wird nicht ſo allgemeinen
Beyfall finden. Laroche naͤmlich hatte ſich
uͤben muͤſſen, die Hand ſeines Herrn und
Meiſters aufs genauſte nachzuahmen, um ihn
dadurch der Qual des Selbſtſchreibens zu
uͤberheben. Allein nicht nur in Geſchaͤften
ſollte dieſes Talent genutzt werden, auch in
Liebeshaͤndeln hatte der junge Mann die Stel¬
le ſeines Lehrers zu vertreten. Der Graf
war leidenſchaftlich einer hohen und geiſtrei¬
chen Dame verbunden. Wenn er in deren
Geſellſchaft bis tief in die Nacht verweilte,
ſaß indeſſen ſein Secretair zu Hauſe und
ſchmiedete die heißeſten Liebesbriefe; darunter
waͤhlte der Graf und ſendete noch gleich zur
Nachtzeit das Blatt an ſeine Geliebte, wel¬
che ſich denn doch wohl daran von dem un¬
verwuͤſtlichen Feuer ihres leidenſchaftlichen An¬
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[276/0284] Eine andere Uebung die der Graf ſeinem Zoͤgling zumuthete, wird nicht ſo allgemeinen Beyfall finden. Laroche naͤmlich hatte ſich uͤben muͤſſen, die Hand ſeines Herrn und Meiſters aufs genauſte nachzuahmen, um ihn dadurch der Qual des Selbſtſchreibens zu uͤberheben. Allein nicht nur in Geſchaͤften ſollte dieſes Talent genutzt werden, auch in Liebeshaͤndeln hatte der junge Mann die Stel¬ le ſeines Lehrers zu vertreten. Der Graf war leidenſchaftlich einer hohen und geiſtrei¬ chen Dame verbunden. Wenn er in deren Geſellſchaft bis tief in die Nacht verweilte, ſaß indeſſen ſein Secretair zu Hauſe und ſchmiedete die heißeſten Liebesbriefe; darunter waͤhlte der Graf und ſendete noch gleich zur Nachtzeit das Blatt an ſeine Geliebte, wel¬ che ſich denn doch wohl daran von dem un¬ verwuͤſtlichen Feuer ihres leidenſchaftlichen An¬ beters uͤberzeugen mußte. Dergleichen fruͤhe Erfahrungen mochten denn freylich dem Juͤng¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/284>, abgerufen am 25.11.2024.