Namen Servieres, erinnere ich mich noch genau. Ich kam mit der Alosino-Schwei¬ zerischen und andern Familien gleichfalls in Berührung, und mit den Söhnen in Ver¬ hältnisse, die sich lange freundschaftlich fort¬ setzten, und sah mich auf einmal in einem fremden Cirkel einheimisch, an dessen Be¬ schäftigungen, Vergnügungen, selbst Religi¬ onsübungen ich Antheil zu nehmen veranlaßt, ja genöthigt wurde. Mein früheres Verhält¬ niß zur jungen Frau, eigentlich ein geschwi¬ sterliches, ward nach der Heirat fortgesetzt; meine Jahre sagten den ihrigen zu, ich war der einzige in dem ganzen Kreise, an dem sie noch einen Widerklang jener geistigen Töne vernahm, an die sie von Jugend auf ge¬ wöhnt war. Wir lebten in einem kindlichen Vertrauen zusammen fort, und ob sich gleich nichts Leidenschaftliches in unsern Umgang mischte, so war er doch peinigend genug, weil sie sich auch in ihre neue Umgebung nicht zu finden wußte und, obwohl mit Glücks¬
Namen Servières, erinnere ich mich noch genau. Ich kam mit der Aloſino-Schwei¬ zeriſchen und andern Familien gleichfalls in Beruͤhrung, und mit den Soͤhnen in Ver¬ haͤltniſſe, die ſich lange freundſchaftlich fort¬ ſetzten, und ſah mich auf einmal in einem fremden Cirkel einheimiſch, an deſſen Be¬ ſchaͤftigungen, Vergnuͤgungen, ſelbſt Religi¬ onsuͤbungen ich Antheil zu nehmen veranlaßt, ja genoͤthigt wurde. Mein fruͤheres Verhaͤlt¬ niß zur jungen Frau, eigentlich ein geſchwi¬ ſterliches, ward nach der Heirat fortgeſetzt; meine Jahre ſagten den ihrigen zu, ich war der einzige in dem ganzen Kreiſe, an dem ſie noch einen Widerklang jener geiſtigen Toͤne vernahm, an die ſie von Jugend auf ge¬ woͤhnt war. Wir lebten in einem kindlichen Vertrauen zuſammen fort, und ob ſich gleich nichts Leidenſchaftliches in unſern Umgang miſchte, ſo war er doch peinigend genug, weil ſie ſich auch in ihre neue Umgebung nicht zu finden wußte und, obwohl mit Gluͤcks¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0349"n="341"/>
Namen <hirendition="#g">Servières</hi>, erinnere ich mich noch<lb/>
genau. Ich kam mit der <hirendition="#g">Aloſino-Schwei¬<lb/>
zeriſchen</hi> und andern Familien gleichfalls in<lb/>
Beruͤhrung, und mit den Soͤhnen in Ver¬<lb/>
haͤltniſſe, die ſich lange freundſchaftlich fort¬<lb/>ſetzten, und ſah mich auf einmal in einem<lb/>
fremden Cirkel einheimiſch, an deſſen Be¬<lb/>ſchaͤftigungen, Vergnuͤgungen, ſelbſt Religi¬<lb/>
onsuͤbungen ich Antheil zu nehmen veranlaßt,<lb/>
ja genoͤthigt wurde. Mein fruͤheres Verhaͤlt¬<lb/>
niß zur jungen Frau, eigentlich ein geſchwi¬<lb/>ſterliches, ward nach der Heirat fortgeſetzt;<lb/>
meine Jahre ſagten den ihrigen zu, ich war<lb/>
der einzige in dem ganzen Kreiſe, an dem<lb/>ſie noch einen Widerklang jener geiſtigen Toͤne<lb/>
vernahm, an die ſie von Jugend auf ge¬<lb/>
woͤhnt war. Wir lebten in einem kindlichen<lb/>
Vertrauen zuſammen fort, und ob ſich gleich<lb/>
nichts Leidenſchaftliches in unſern Umgang<lb/>
miſchte, ſo war er doch peinigend genug,<lb/>
weil ſie ſich auch in ihre neue Umgebung nicht<lb/>
zu finden wußte und, obwohl mit Gluͤcks¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[341/0349]
Namen Servières, erinnere ich mich noch
genau. Ich kam mit der Aloſino-Schwei¬
zeriſchen und andern Familien gleichfalls in
Beruͤhrung, und mit den Soͤhnen in Ver¬
haͤltniſſe, die ſich lange freundſchaftlich fort¬
ſetzten, und ſah mich auf einmal in einem
fremden Cirkel einheimiſch, an deſſen Be¬
ſchaͤftigungen, Vergnuͤgungen, ſelbſt Religi¬
onsuͤbungen ich Antheil zu nehmen veranlaßt,
ja genoͤthigt wurde. Mein fruͤheres Verhaͤlt¬
niß zur jungen Frau, eigentlich ein geſchwi¬
ſterliches, ward nach der Heirat fortgeſetzt;
meine Jahre ſagten den ihrigen zu, ich war
der einzige in dem ganzen Kreiſe, an dem
ſie noch einen Widerklang jener geiſtigen Toͤne
vernahm, an die ſie von Jugend auf ge¬
woͤhnt war. Wir lebten in einem kindlichen
Vertrauen zuſammen fort, und ob ſich gleich
nichts Leidenſchaftliches in unſern Umgang
miſchte, ſo war er doch peinigend genug,
weil ſie ſich auch in ihre neue Umgebung nicht
zu finden wußte und, obwohl mit Gluͤcks¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/349>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.