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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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der Widerstreit hervor, in welchem er sich
sowohl mit den Malern als mit den Indivi¬
duen befand. Jene konnten ihm niemals
wahr und genau genug arbeiten, diese, bey
allen Vorzügen welche sie haben mochten, blie¬
ben doch immer zu weit hinter der Idee zu¬
rück, die er von der Menschheit und den
Menschen hegte, als daß er nicht durch das
Besondere, wodurch der einzelne zur Person
wird, einigermaßen hätte abgestoßen werden
sollen.

Der Begriff von der Menschheit, der
sich in ihm und an seiner Menschheit heran¬
gebildet hatte, war so genau mit der Vor¬
stellung verwandt, die er von Christo leben¬
dig in sich trug, daß es ihm unbegreiflich schien,
wie ein Mensch leben und athmen könne,
ohne zugleich ein Christ zu seyn. Mein Ver¬
hältniß zu der christlichen Religion lag bloß
in Sinn und Gemüth, und ich hatte von je¬
ner physischen Verwandschaft, zu welcher

der Widerſtreit hervor, in welchem er ſich
ſowohl mit den Malern als mit den Indivi¬
duen befand. Jene konnten ihm niemals
wahr und genau genug arbeiten, dieſe, bey
allen Vorzuͤgen welche ſie haben mochten, blie¬
ben doch immer zu weit hinter der Idee zu¬
ruͤck, die er von der Menſchheit und den
Menſchen hegte, als daß er nicht durch das
Beſondere, wodurch der einzelne zur Perſon
wird, einigermaßen haͤtte abgeſtoßen werden
ſollen.

Der Begriff von der Menſchheit, der
ſich in ihm und an ſeiner Menſchheit heran¬
gebildet hatte, war ſo genau mit der Vor¬
ſtellung verwandt, die er von Chriſto leben¬
dig in ſich trug, daß es ihm unbegreiflich ſchien,
wie ein Menſch leben und athmen koͤnne,
ohne zugleich ein Chriſt zu ſeyn. Mein Ver¬
haͤltniß zu der chriſtlichen Religion lag bloß
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[394/0402] der Widerſtreit hervor, in welchem er ſich ſowohl mit den Malern als mit den Indivi¬ duen befand. Jene konnten ihm niemals wahr und genau genug arbeiten, dieſe, bey allen Vorzuͤgen welche ſie haben mochten, blie¬ ben doch immer zu weit hinter der Idee zu¬ ruͤck, die er von der Menſchheit und den Menſchen hegte, als daß er nicht durch das Beſondere, wodurch der einzelne zur Perſon wird, einigermaßen haͤtte abgeſtoßen werden ſollen. Der Begriff von der Menſchheit, der ſich in ihm und an ſeiner Menſchheit heran¬ gebildet hatte, war ſo genau mit der Vor¬ ſtellung verwandt, die er von Chriſto leben¬ dig in ſich trug, daß es ihm unbegreiflich ſchien, wie ein Menſch leben und athmen koͤnne, ohne zugleich ein Chriſt zu ſeyn. Mein Ver¬ haͤltniß zu der chriſtlichen Religion lag bloß in Sinn und Gemuͤth, und ich hatte von je¬ ner phyſiſchen Verwandſchaft, zu welcher

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/402>, abgerufen am 27.11.2024.