Auf einer Reise die Lavater durch Deutsch¬ land macht, setzt er sich mit gelehrten und wohldenkenden Männern in Berührung; al¬ lein er befestigt sich dabey nur mehr in sei¬ nen eignen Gedanken und Ueberzeugungen; nach Hause zurückgekommen, wirkt er immer freyer aus sich selbst. Als ein edler guter Mensch, fühlt er in sich einen herrlichen Begriff von der Menschheit, und was diesem allenfalls in der Erfahrung widerspricht, alle die un¬ leugbaren Mängel, die einen Jeden von der Vollkommenheit ablenken, sollen ausgeglichen werden durch den Begriff der Gottheit, die sich, in der Mitte der Zeiten, in die mensch¬ liche Natur herabgesenkt, um ihr früheres Ebenbild vollkommen wiederherzustellen.
Soviel vorerst von den Anfängen dieses merkwürdigen Mannes, und nun vor allen Dingen eine heitere Schilderung unseres per¬ sönlichen Zusammentreffens und Beysammen¬ seyns. Denn unser Briefwechsel hatte nicht
lll. 26
Auf einer Reiſe die Lavater durch Deutſch¬ land macht, ſetzt er ſich mit gelehrten und wohldenkenden Maͤnnern in Beruͤhrung; al¬ lein er befeſtigt ſich dabey nur mehr in ſei¬ nen eignen Gedanken und Ueberzeugungen; nach Hauſe zuruͤckgekommen, wirkt er immer freyer aus ſich ſelbſt. Als ein edler guter Menſch, fuͤhlt er in ſich einen herrlichen Begriff von der Menſchheit, und was dieſem allenfalls in der Erfahrung widerſpricht, alle die un¬ leugbaren Maͤngel, die einen Jeden von der Vollkommenheit ablenken, ſollen ausgeglichen werden durch den Begriff der Gottheit, die ſich, in der Mitte der Zeiten, in die menſch¬ liche Natur herabgeſenkt, um ihr fruͤheres Ebenbild vollkommen wiederherzuſtellen.
Soviel vorerſt von den Anfaͤngen dieſes merkwuͤrdigen Mannes, und nun vor allen Dingen eine heitere Schilderung unſeres per¬ ſoͤnlichen Zuſammentreffens und Beyſammen¬ ſeyns. Denn unſer Briefwechſel hatte nicht
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[401/0409]
Auf einer Reiſe die Lavater durch Deutſch¬
land macht, ſetzt er ſich mit gelehrten und
wohldenkenden Maͤnnern in Beruͤhrung; al¬
lein er befeſtigt ſich dabey nur mehr in ſei¬
nen eignen Gedanken und Ueberzeugungen; nach
Hauſe zuruͤckgekommen, wirkt er immer freyer
aus ſich ſelbſt. Als ein edler guter Menſch,
fuͤhlt er in ſich einen herrlichen Begriff von
der Menſchheit, und was dieſem allenfalls
in der Erfahrung widerſpricht, alle die un¬
leugbaren Maͤngel, die einen Jeden von der
Vollkommenheit ablenken, ſollen ausgeglichen
werden durch den Begriff der Gottheit, die
ſich, in der Mitte der Zeiten, in die menſch¬
liche Natur herabgeſenkt, um ihr fruͤheres
Ebenbild vollkommen wiederherzuſtellen.
Soviel vorerſt von den Anfaͤngen dieſes
merkwuͤrdigen Mannes, und nun vor allen
Dingen eine heitere Schilderung unſeres per¬
ſoͤnlichen Zuſammentreffens und Beyſammen¬
ſeyns. Denn unſer Briefwechſel hatte nicht
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/409>, abgerufen am 27.11.2024.
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