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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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was man wisse, wie gut und wie viel
man wisse. Daher könne man über das Wis¬
sen streiten, weil es sich berichtigen, sich er¬
weitern und verengern lasse. Das Wissen
fange vom Einzelnen an, sey endlos und ge¬
staltlos, und könne niemals, höchstens nur
träumerisch, zusammengefaßt werden, und
bleibe also dem Glauben geradezu entgegen¬
gesetzt.

Dergleichen Halbwahrheiten und die da¬
raus entspringenden Irrsale mögen, poetisch
dargestellt, aufregend und unterhaltend seyn,
im Leben aber stören und verwirren sie das
Gespräch. Ich ließ daher Lavatern gern mit
allen denjenigen allein, die sich an ihm und
mit ihm erbauen wollten, und fand mich für
diese Entbehrung genugsam entschädigt durch
die Reise, die wir zusammen nach Ems an¬
traten. Ein schönes Sommerwetter begleitete
uns, Lavater war heiter und allerliebst.
Denn bey einer religiösen und sittlichen, kei¬

was man wiſſe, wie gut und wie viel
man wiſſe. Daher koͤnne man uͤber das Wiſ¬
ſen ſtreiten, weil es ſich berichtigen, ſich er¬
weitern und verengern laſſe. Das Wiſſen
fange vom Einzelnen an, ſey endlos und ge¬
ſtaltlos, und koͤnne niemals, hoͤchſtens nur
traͤumeriſch, zuſammengefaßt werden, und
bleibe alſo dem Glauben geradezu entgegen¬
geſetzt.

Dergleichen Halbwahrheiten und die da¬
raus entſpringenden Irrſale moͤgen, poetiſch
dargeſtellt, aufregend und unterhaltend ſeyn,
im Leben aber ſtoͤren und verwirren ſie das
Geſpraͤch. Ich ließ daher Lavatern gern mit
allen denjenigen allein, die ſich an ihm und
mit ihm erbauen wollten, und fand mich fuͤr
dieſe Entbehrung genugſam entſchaͤdigt durch
die Reiſe, die wir zuſammen nach Ems an¬
traten. Ein ſchoͤnes Sommerwetter begleitete
uns, Lavater war heiter und allerliebſt.
Denn bey einer religioͤſen und ſittlichen, kei¬

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[413/0421] was man wiſſe, wie gut und wie viel man wiſſe. Daher koͤnne man uͤber das Wiſ¬ ſen ſtreiten, weil es ſich berichtigen, ſich er¬ weitern und verengern laſſe. Das Wiſſen fange vom Einzelnen an, ſey endlos und ge¬ ſtaltlos, und koͤnne niemals, hoͤchſtens nur traͤumeriſch, zuſammengefaßt werden, und bleibe alſo dem Glauben geradezu entgegen¬ geſetzt. Dergleichen Halbwahrheiten und die da¬ raus entſpringenden Irrſale moͤgen, poetiſch dargeſtellt, aufregend und unterhaltend ſeyn, im Leben aber ſtoͤren und verwirren ſie das Geſpraͤch. Ich ließ daher Lavatern gern mit allen denjenigen allein, die ſich an ihm und mit ihm erbauen wollten, und fand mich fuͤr dieſe Entbehrung genugſam entſchaͤdigt durch die Reiſe, die wir zuſammen nach Ems an¬ traten. Ein ſchoͤnes Sommerwetter begleitete uns, Lavater war heiter und allerliebſt. Denn bey einer religioͤſen und ſittlichen, kei¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/421>, abgerufen am 27.11.2024.