det: alle gegenwärtig, frisch und lebendig wie von gestern, ja von heute, und doch waren sie schon alle vorübergegangen. Auch diese frischen rundbäckigen Kinder hatten gealtert, und ohne diese kunstreiche Abbildung wäre kein Gedächtniß von ihnen übrig geblieben. Wie ich, überwältigt von diesen Eindrücken, mich verhielt und benahm, wüßte ich nicht zu sa¬ gen. Der tiefste Grund meiner menschlichen Anlagen und dichterischen Fähigkeiten ward durch die unendliche Herzensbewegung aufge¬ deckt, und alles Gute und Liebevolle was in meinem Gemüthe lag, mochte sich aufschlie¬ ßen und hervorbrechen: denn von dem Au¬ genblick an ward ich, ohne weitere Untersu¬ chung und Verhandlung, der Neigung, des Vertrauens jener vorzüglichen Männer für mein Leben theilhaft.
In Gefolg von diesem Seelen- und Gei¬ stesverein, wo alles was in einem Jeden lebte
det: alle gegenwaͤrtig, friſch und lebendig wie von geſtern, ja von heute, und doch waren ſie ſchon alle voruͤbergegangen. Auch dieſe friſchen rundbaͤckigen Kinder hatten gealtert, und ohne dieſe kunſtreiche Abbildung waͤre kein Gedaͤchtniß von ihnen uͤbrig geblieben. Wie ich, uͤberwaͤltigt von dieſen Eindruͤcken, mich verhielt und benahm, wuͤßte ich nicht zu ſa¬ gen. Der tiefſte Grund meiner menſchlichen Anlagen und dichteriſchen Faͤhigkeiten ward durch die unendliche Herzensbewegung aufge¬ deckt, und alles Gute und Liebevolle was in meinem Gemuͤthe lag, mochte ſich aufſchlie¬ ßen und hervorbrechen: denn von dem Au¬ genblick an ward ich, ohne weitere Unterſu¬ chung und Verhandlung, der Neigung, des Vertrauens jener vorzuͤglichen Maͤnner fuͤr mein Leben theilhaft.
In Gefolg von dieſem Seelen- und Gei¬ ſtesverein, wo alles was in einem Jeden lebte
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det: alle gegenwaͤrtig, friſch und lebendig wie
von geſtern, ja von heute, und doch waren
ſie ſchon alle voruͤbergegangen. Auch dieſe
friſchen rundbaͤckigen Kinder hatten gealtert,
und ohne dieſe kunſtreiche Abbildung waͤre kein
Gedaͤchtniß von ihnen uͤbrig geblieben. Wie
ich, uͤberwaͤltigt von dieſen Eindruͤcken, mich
verhielt und benahm, wuͤßte ich nicht zu ſa¬
gen. Der tiefſte Grund meiner menſchlichen
Anlagen und dichteriſchen Faͤhigkeiten ward
durch die unendliche Herzensbewegung aufge¬
deckt, und alles Gute und Liebevolle was in
meinem Gemuͤthe lag, mochte ſich aufſchlie¬
ßen und hervorbrechen: denn von dem Au¬
genblick an ward ich, ohne weitere Unterſu¬
chung und Verhandlung, der Neigung, des
Vertrauens jener vorzuͤglichen Maͤnner fuͤr
mein Leben theilhaft.
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/446>, abgerufen am 24.11.2024.
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