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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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stige; so wollte ich gleichwohl nicht gerade
wider seine Ueberzeugung handeln, und konn¬
te doch auch keinen Vorwand finden, unter
dem ich, ohne undankbar und unartig zu er¬
scheinen, mein Versprechen wieder zurück¬
nehmen durfte. Leider war unsere Freundinn
von Klettenberg bettlägrig, auf die wir in
ähnlichen Fällen uns zu berufen pflegten.
An ihr und meiner Mutter hatte ich zwey
vortreffliche Begleiterinnen; ich nannte sie nur
immer Rath und That: denn wenn jene
einen heitern ja seligen Blick über die irdi¬
schen Dinge warf, so entwirrte sich vor ihr
gar leicht was uns andere Erdenkinder ver¬
wirrte, und sie wußte den rechten Weg ge¬
wöhnlich anzudeuten, eben weil sie ins Laby¬
rinth von oben herabsah und nicht selbst da¬
rin befangen war; hatte man sich aber ent¬
schieden, so konnte man sich auf die Bereit¬
willigkeit und auf die Thatkraft meiner Mut¬
ter verlassen. Wie jener das Schauen, so
kam dieser der Glaube zu Hülfe, und weil

ſtige; ſo wollte ich gleichwohl nicht gerade
wider ſeine Ueberzeugung handeln, und konn¬
te doch auch keinen Vorwand finden, unter
dem ich, ohne undankbar und unartig zu er¬
ſcheinen, mein Verſprechen wieder zuruͤck¬
nehmen durfte. Leider war unſere Freundinn
von Klettenberg bettlaͤgrig, auf die wir in
aͤhnlichen Faͤllen uns zu berufen pflegten.
An ihr und meiner Mutter hatte ich zwey
vortreffliche Begleiterinnen; ich nannte ſie nur
immer Rath und That: denn wenn jene
einen heitern ja ſeligen Blick uͤber die irdi¬
ſchen Dinge warf, ſo entwirrte ſich vor ihr
gar leicht was uns andere Erdenkinder ver¬
wirrte, und ſie wußte den rechten Weg ge¬
woͤhnlich anzudeuten, eben weil ſie ins Laby¬
rinth von oben herabſah und nicht ſelbſt da¬
rin befangen war; hatte man ſich aber ent¬
ſchieden, ſo konnte man ſich auf die Bereit¬
willigkeit und auf die Thatkraft meiner Mut¬
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[496/0504] ſtige; ſo wollte ich gleichwohl nicht gerade wider ſeine Ueberzeugung handeln, und konn¬ te doch auch keinen Vorwand finden, unter dem ich, ohne undankbar und unartig zu er¬ ſcheinen, mein Verſprechen wieder zuruͤck¬ nehmen durfte. Leider war unſere Freundinn von Klettenberg bettlaͤgrig, auf die wir in aͤhnlichen Faͤllen uns zu berufen pflegten. An ihr und meiner Mutter hatte ich zwey vortreffliche Begleiterinnen; ich nannte ſie nur immer Rath und That: denn wenn jene einen heitern ja ſeligen Blick uͤber die irdi¬ ſchen Dinge warf, ſo entwirrte ſich vor ihr gar leicht was uns andere Erdenkinder ver¬ wirrte, und ſie wußte den rechten Weg ge¬ woͤhnlich anzudeuten, eben weil ſie ins Laby¬ rinth von oben herabſah und nicht ſelbſt da¬ rin befangen war; hatte man ſich aber ent¬ ſchieden, ſo konnte man ſich auf die Bereit¬ willigkeit und auf die Thatkraft meiner Mut¬ ter verlaſſen. Wie jener das Schauen, ſo kam dieſer der Glaube zu Huͤlfe, und weil

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 496. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/504>, abgerufen am 24.11.2024.