Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

verstand Spaß, oder ließ ihn wenigstens vor¬
übergehn.

Ernsthafter jedoch und herzerhebender war
der Genuß der Tags- und Jahreszeiten in
diesem herrlichen Lande. Man durfte sich nur
der Gegenwart hingeben, um diese Klarheit
des reinen Himmels, diesen Glanz der rei¬
chen Erde, diese lauen Abende, diese war¬
men Nächte an der Seite der Geliebten oder
in ihrer Nähe zu genießen. Monate lang
beglückten uns reine ätherische Morgen, wo
der Himmel sich in seiner ganzen Pracht
wies, indem er die Erde mit überflüssigem
Thau getränkt hatte; und damit dieses Schau¬
spiel nicht zu einfach werde, thürmten sich
oft Wolken über die entfernten Berge, bald
in dieser, bald in jener Gegend. Sie stan¬
den Tage, ja Wochen lang, ohne den
reinen Himmel zu trüben, und selbst die
vorübergehenden Gewitter erquickten das
Land und verherrlichten das Grün, das schon

verſtand Spaß, oder ließ ihn wenigſtens vor¬
uͤbergehn.

Ernſthafter jedoch und herzerhebender war
der Genuß der Tags- und Jahreszeiten in
dieſem herrlichen Lande. Man durfte ſich nur
der Gegenwart hingeben, um dieſe Klarheit
des reinen Himmels, dieſen Glanz der rei¬
chen Erde, dieſe lauen Abende, dieſe war¬
men Naͤchte an der Seite der Geliebten oder
in ihrer Naͤhe zu genießen. Monate lang
begluͤckten uns reine aͤtheriſche Morgen, wo
der Himmel ſich in ſeiner ganzen Pracht
wies, indem er die Erde mit uͤberfluͤſſigem
Thau getraͤnkt hatte; und damit dieſes Schau¬
ſpiel nicht zu einfach werde, thuͤrmten ſich
oft Wolken uͤber die entfernten Berge, bald
in dieſer, bald in jener Gegend. Sie ſtan¬
den Tage, ja Wochen lang, ohne den
reinen Himmel zu truͤben, und ſelbſt die
voruͤbergehenden Gewitter erquickten das
Land und verherrlichten das Gruͤn, das ſchon

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0052" n="44"/>
ver&#x017F;tand Spaß, oder ließ ihn wenig&#x017F;tens vor¬<lb/>
u&#x0364;bergehn.</p><lb/>
        <p>Ern&#x017F;thafter jedoch und herzerhebender war<lb/>
der Genuß der Tags- und Jahreszeiten in<lb/>
die&#x017F;em herrlichen Lande. Man durfte &#x017F;ich nur<lb/>
der Gegenwart hingeben, um die&#x017F;e Klarheit<lb/>
des reinen Himmels, die&#x017F;en Glanz der rei¬<lb/>
chen Erde, die&#x017F;e lauen Abende, die&#x017F;e war¬<lb/>
men Na&#x0364;chte an der Seite der Geliebten oder<lb/>
in ihrer Na&#x0364;he zu genießen. Monate lang<lb/>
beglu&#x0364;ckten uns reine a&#x0364;theri&#x017F;che Morgen, wo<lb/>
der Himmel &#x017F;ich in &#x017F;einer ganzen Pracht<lb/>
wies, indem er die Erde mit u&#x0364;berflu&#x0364;&#x017F;&#x017F;igem<lb/>
Thau getra&#x0364;nkt hatte; und damit die&#x017F;es Schau¬<lb/>
&#x017F;piel nicht zu einfach werde, thu&#x0364;rmten &#x017F;ich<lb/>
oft Wolken u&#x0364;ber die entfernten Berge, bald<lb/>
in die&#x017F;er, bald in jener Gegend. Sie &#x017F;tan¬<lb/>
den Tage, ja Wochen lang, ohne den<lb/>
reinen Himmel zu tru&#x0364;ben, und &#x017F;elb&#x017F;t die<lb/>
voru&#x0364;bergehenden Gewitter erquickten das<lb/>
Land und verherrlichten das Gru&#x0364;n, das &#x017F;chon<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[44/0052] verſtand Spaß, oder ließ ihn wenigſtens vor¬ uͤbergehn. Ernſthafter jedoch und herzerhebender war der Genuß der Tags- und Jahreszeiten in dieſem herrlichen Lande. Man durfte ſich nur der Gegenwart hingeben, um dieſe Klarheit des reinen Himmels, dieſen Glanz der rei¬ chen Erde, dieſe lauen Abende, dieſe war¬ men Naͤchte an der Seite der Geliebten oder in ihrer Naͤhe zu genießen. Monate lang begluͤckten uns reine aͤtheriſche Morgen, wo der Himmel ſich in ſeiner ganzen Pracht wies, indem er die Erde mit uͤberfluͤſſigem Thau getraͤnkt hatte; und damit dieſes Schau¬ ſpiel nicht zu einfach werde, thuͤrmten ſich oft Wolken uͤber die entfernten Berge, bald in dieſer, bald in jener Gegend. Sie ſtan¬ den Tage, ja Wochen lang, ohne den reinen Himmel zu truͤben, und ſelbſt die voruͤbergehenden Gewitter erquickten das Land und verherrlichten das Gruͤn, das ſchon

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/52
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/52>, abgerufen am 27.05.2024.