Erwartet man nun aber, daß ich von der Wirkung dieses bedeutenden Mannes auf mich nähere Rechenschaft gebe, so muß ich im All¬ gemeinen jener Zeit abermals gedenken. Die Epoche in der wir lebten, kann man die fordernde nennen: denn man machte, an sich und Andere, Forderungen, auf das was noch kein Mensch geleistet hatte. Es war nämlich vorzüglichen, denkenden und fühlen¬ den Geistern ein Licht aufgegangen, daß die unmittelbare originelle Ansicht der Natur und ein darauf gegründetes Handeln das Beste sey, was der Mensch sich wünschen könne, und nicht einmal schwer zu erlangen. Erfah¬ rung war also abermals das allgemeine Lo¬ sungswort, und Jederman that die Augen auf so gut er konnte; eigentlich aber wa¬ ren es die Aerzte, die am meisten Ursache hatten, darauf zu dringen und Gelegenheit sich darnach umzuthun. Hier leuchtete ihnen nun aus alter Zeit ein Gestirn entgegen, wel¬
Erwartet man nun aber, daß ich von der Wirkung dieſes bedeutenden Mannes auf mich naͤhere Rechenſchaft gebe, ſo muß ich im All¬ gemeinen jener Zeit abermals gedenken. Die Epoche in der wir lebten, kann man die fordernde nennen: denn man machte, an ſich und Andere, Forderungen, auf das was noch kein Menſch geleiſtet hatte. Es war naͤmlich vorzuͤglichen, denkenden und fuͤhlen¬ den Geiſtern ein Licht aufgegangen, daß die unmittelbare originelle Anſicht der Natur und ein darauf gegruͤndetes Handeln das Beſte ſey, was der Menſch ſich wuͤnſchen koͤnne, und nicht einmal ſchwer zu erlangen. Erfah¬ rung war alſo abermals das allgemeine Lo¬ ſungswort, und Jederman that die Augen auf ſo gut er konnte; eigentlich aber wa¬ ren es die Aerzte, die am meiſten Urſache hatten, darauf zu dringen und Gelegenheit ſich darnach umzuthun. Hier leuchtete ihnen nun aus alter Zeit ein Geſtirn entgegen, wel¬
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0526"n="518"/><p>Erwartet man nun aber, daß ich von der<lb/>
Wirkung dieſes bedeutenden Mannes auf mich<lb/>
naͤhere Rechenſchaft gebe, ſo muß ich im All¬<lb/>
gemeinen jener Zeit abermals gedenken. Die<lb/>
Epoche in der wir lebten, kann man die<lb/><hirendition="#g">fordernde</hi> nennen: denn man machte, an<lb/>ſich und Andere, Forderungen, auf das was<lb/>
noch kein Menſch geleiſtet hatte. Es war<lb/>
naͤmlich vorzuͤglichen, denkenden und fuͤhlen¬<lb/>
den Geiſtern ein Licht aufgegangen, daß die<lb/>
unmittelbare originelle Anſicht der Natur und<lb/>
ein darauf gegruͤndetes Handeln das Beſte<lb/>ſey, was der Menſch ſich wuͤnſchen koͤnne,<lb/>
und nicht einmal ſchwer zu erlangen. Erfah¬<lb/>
rung war alſo abermals das allgemeine Lo¬<lb/>ſungswort, und Jederman that die Augen<lb/>
auf ſo gut er konnte; eigentlich aber wa¬<lb/>
ren es die Aerzte, die am meiſten Urſache<lb/>
hatten, darauf zu dringen und Gelegenheit<lb/>ſich darnach umzuthun. Hier leuchtete ihnen<lb/>
nun aus alter Zeit ein Geſtirn entgegen, wel¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[518/0526]
Erwartet man nun aber, daß ich von der
Wirkung dieſes bedeutenden Mannes auf mich
naͤhere Rechenſchaft gebe, ſo muß ich im All¬
gemeinen jener Zeit abermals gedenken. Die
Epoche in der wir lebten, kann man die
fordernde nennen: denn man machte, an
ſich und Andere, Forderungen, auf das was
noch kein Menſch geleiſtet hatte. Es war
naͤmlich vorzuͤglichen, denkenden und fuͤhlen¬
den Geiſtern ein Licht aufgegangen, daß die
unmittelbare originelle Anſicht der Natur und
ein darauf gegruͤndetes Handeln das Beſte
ſey, was der Menſch ſich wuͤnſchen koͤnne,
und nicht einmal ſchwer zu erlangen. Erfah¬
rung war alſo abermals das allgemeine Lo¬
ſungswort, und Jederman that die Augen
auf ſo gut er konnte; eigentlich aber wa¬
ren es die Aerzte, die am meiſten Urſache
hatten, darauf zu dringen und Gelegenheit
ſich darnach umzuthun. Hier leuchtete ihnen
nun aus alter Zeit ein Geſtirn entgegen, wel¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 518. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/526>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.