Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

cherley Schicksalen gescheidter und verkehrter
zu uns zurückgewandert, und spielte abermals
den Gesetzgeber des kleinen Staats. Er hat¬
te sich in Gefolg von jenen frühern Scherzen
etwas Aehnliches ausgedacht: es sollte nämlich
alle acht Tage geloost werden, nicht um, wie
vormals, liebende Paare, sondern wahrhafte
Ehegatten zu bestimmen. Wie man sich ge¬
gen Geliebte betrage, das sey uns bekannt
genug; aber wie sich Gatte und Gattinn in
Gesellschaft zu nehmen hätten, das sey uns
unbewußt und müsse nun, bey zunehmenden
Jahren, vor allen Dingen gelernt werden.
Er gab die Regeln an im Allgemeinen, wel¬
che bekanntlich darin bestehen, daß man thun
müsse, als wenn man einander nicht angehö¬
re; man dürfe nicht neben einander sitzen,
nicht viel mit einander sprechen, vielweniger
sich Liebkosungen erlauben: dabey aber habe
man nicht allein alles zu vermeiden, was
wechselseitig Verdacht und Unannehmlichkeit

III. 34

cherley Schickſalen geſcheidter und verkehrter
zu uns zuruͤckgewandert, und ſpielte abermals
den Geſetzgeber des kleinen Staats. Er hat¬
te ſich in Gefolg von jenen fruͤhern Scherzen
etwas Aehnliches ausgedacht: es ſollte naͤmlich
alle acht Tage gelooſt werden, nicht um, wie
vormals, liebende Paare, ſondern wahrhafte
Ehegatten zu beſtimmen. Wie man ſich ge¬
gen Geliebte betrage, das ſey uns bekannt
genug; aber wie ſich Gatte und Gattinn in
Geſellſchaft zu nehmen haͤtten, das ſey uns
unbewußt und muͤſſe nun, bey zunehmenden
Jahren, vor allen Dingen gelernt werden.
Er gab die Regeln an im Allgemeinen, wel¬
che bekanntlich darin beſtehen, daß man thun
muͤſſe, als wenn man einander nicht angehoͤ¬
re; man duͤrfe nicht neben einander ſitzen,
nicht viel mit einander ſprechen, vielweniger
ſich Liebkoſungen erlauben: dabey aber habe
man nicht allein alles zu vermeiden, was
wechſelſeitig Verdacht und Unannehmlichkeit

III. 34
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0535" n="527"/>
cherley Schick&#x017F;alen ge&#x017F;cheidter und verkehrter<lb/>
zu uns zuru&#x0364;ckgewandert, und &#x017F;pielte abermals<lb/>
den Ge&#x017F;etzgeber des kleinen Staats. Er hat¬<lb/>
te &#x017F;ich in Gefolg von jenen fru&#x0364;hern Scherzen<lb/>
etwas Aehnliches ausgedacht: es &#x017F;ollte na&#x0364;mlich<lb/>
alle acht Tage geloo&#x017F;t werden, nicht um, wie<lb/>
vormals, liebende Paare, &#x017F;ondern wahrhafte<lb/>
Ehegatten zu be&#x017F;timmen. Wie man &#x017F;ich ge¬<lb/>
gen Geliebte betrage, das &#x017F;ey uns bekannt<lb/>
genug; aber wie &#x017F;ich Gatte und Gattinn in<lb/>
Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft zu nehmen ha&#x0364;tten, das &#x017F;ey uns<lb/>
unbewußt und mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e nun, bey zunehmenden<lb/>
Jahren, vor allen Dingen gelernt werden.<lb/>
Er gab die Regeln an im Allgemeinen, wel¬<lb/>
che bekanntlich darin be&#x017F;tehen, daß man thun<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, als wenn man einander nicht angeho&#x0364;¬<lb/>
re; man du&#x0364;rfe nicht neben einander &#x017F;itzen,<lb/>
nicht viel mit einander &#x017F;prechen, vielweniger<lb/>
&#x017F;ich Liebko&#x017F;ungen erlauben: dabey aber habe<lb/>
man nicht allein alles zu vermeiden, was<lb/>
wech&#x017F;el&#x017F;eitig Verdacht und Unannehmlichkeit<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">III. 34<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[527/0535] cherley Schickſalen geſcheidter und verkehrter zu uns zuruͤckgewandert, und ſpielte abermals den Geſetzgeber des kleinen Staats. Er hat¬ te ſich in Gefolg von jenen fruͤhern Scherzen etwas Aehnliches ausgedacht: es ſollte naͤmlich alle acht Tage gelooſt werden, nicht um, wie vormals, liebende Paare, ſondern wahrhafte Ehegatten zu beſtimmen. Wie man ſich ge¬ gen Geliebte betrage, das ſey uns bekannt genug; aber wie ſich Gatte und Gattinn in Geſellſchaft zu nehmen haͤtten, das ſey uns unbewußt und muͤſſe nun, bey zunehmenden Jahren, vor allen Dingen gelernt werden. Er gab die Regeln an im Allgemeinen, wel¬ che bekanntlich darin beſtehen, daß man thun muͤſſe, als wenn man einander nicht angehoͤ¬ re; man duͤrfe nicht neben einander ſitzen, nicht viel mit einander ſprechen, vielweniger ſich Liebkoſungen erlauben: dabey aber habe man nicht allein alles zu vermeiden, was wechſelſeitig Verdacht und Unannehmlichkeit III. 34

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/535
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 527. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/535>, abgerufen am 25.11.2024.