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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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war sich zu allen Tagen und Stunden völlig
gleich. Ihre häusliche Thätigkeit wurde höch¬
lich gerühmt. Ohne daß sie gesprächig gewe¬
sen wäre, konnte man an ihren Aeußerungen
einen geraden Verstand und eine natürliche
Bildung erkennen. Nun war es leicht einer
solchen Person mit Freundlichkeit und Ach¬
tung zu begegnen; schon vorher war ich ge¬
wohnt es aus allgemeinem Gefühl zu thun,
jetzt wirkte bey mir ein herkömmliches Wohl¬
wollen als gesellige Pflicht. Wie uns nun
aber das Loos zum dritten Male zusammen
brachte, so erklärte der neckische Gesetzgeber
feyerlichst: der Himmel habe gesprochen, und
wir könnten nunmehr nicht geschieden werden.
Wir ließen es uns beyderseits gefallen, und
fügten uns wechselsweise so hübsch in die of¬
fenbaren Ehestands-Pflichten, daß wir wirk¬
lich für ein Muster gelten konnten. Da nun,
nach der allgemeinen Verfassung, die sämmt¬
lichen für den Abend vereinten Paare sich auf

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war ſich zu allen Tagen und Stunden voͤllig
gleich. Ihre haͤusliche Thaͤtigkeit wurde hoͤch¬
lich geruͤhmt. Ohne daß ſie geſpraͤchig gewe¬
ſen waͤre, konnte man an ihren Aeußerungen
einen geraden Verſtand und eine natuͤrliche
Bildung erkennen. Nun war es leicht einer
ſolchen Perſon mit Freundlichkeit und Ach¬
tung zu begegnen; ſchon vorher war ich ge¬
wohnt es aus allgemeinem Gefuͤhl zu thun,
jetzt wirkte bey mir ein herkoͤmmliches Wohl¬
wollen als geſellige Pflicht. Wie uns nun
aber das Loos zum dritten Male zuſammen
brachte, ſo erklaͤrte der neckiſche Geſetzgeber
feyerlichſt: der Himmel habe geſprochen, und
wir koͤnnten nunmehr nicht geſchieden werden.
Wir ließen es uns beyderſeits gefallen, und
fuͤgten uns wechſelsweiſe ſo huͤbſch in die of¬
fenbaren Eheſtands-Pflichten, daß wir wirk¬
lich fuͤr ein Muſter gelten konnten. Da nun,
nach der allgemeinen Verfaſſung, die ſaͤmmt¬
lichen fuͤr den Abend vereinten Paare ſich auf

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[529/0537] war ſich zu allen Tagen und Stunden voͤllig gleich. Ihre haͤusliche Thaͤtigkeit wurde hoͤch¬ lich geruͤhmt. Ohne daß ſie geſpraͤchig gewe¬ ſen waͤre, konnte man an ihren Aeußerungen einen geraden Verſtand und eine natuͤrliche Bildung erkennen. Nun war es leicht einer ſolchen Perſon mit Freundlichkeit und Ach¬ tung zu begegnen; ſchon vorher war ich ge¬ wohnt es aus allgemeinem Gefuͤhl zu thun, jetzt wirkte bey mir ein herkoͤmmliches Wohl¬ wollen als geſellige Pflicht. Wie uns nun aber das Loos zum dritten Male zuſammen brachte, ſo erklaͤrte der neckiſche Geſetzgeber feyerlichſt: der Himmel habe geſprochen, und wir koͤnnten nunmehr nicht geſchieden werden. Wir ließen es uns beyderſeits gefallen, und fuͤgten uns wechſelsweiſe ſo huͤbſch in die of¬ fenbaren Eheſtands-Pflichten, daß wir wirk¬ lich fuͤr ein Muſter gelten konnten. Da nun, nach der allgemeinen Verfaſſung, die ſaͤmmt¬ lichen fuͤr den Abend vereinten Paare ſich auf 34 *

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 529. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/537>, abgerufen am 24.11.2024.