nen gewissen Cultus festzusetzen, von welchem weder die Geistlichkeit noch die Laien sich los¬ sagen dürften. Ich führte dieses Thema theils historisch, theils raisonirend aus, in¬ dem ich zeigte, daß alle öffentlichen Religio¬ nen durch Heerführer, Könige und mächtige Männer eingeführt worden, ja daß dieses so¬ gar der Fall mit der christlichen sey. Das Beyspiel des Protestantismus lag ja ganz nahe. Ich ging bey dieser Arbeit um so kühner zu Werke, als ich sie eigentlich nur meinen Vater zu befriedigen schrieb, und nichts sehnlicher wünschte und hoffte, als daß sie die Censur nicht passiren möchte. Ich hatte noch von Behrisch her eine unüber¬ windliche Abneigung, etwas von mir gedruckt zu sehn, und mein Umgang mit Herdern hatte mir meine Unzulänglichkeit nur allzu¬ deutlich aufgedeckt, ja ein gewisses Mißtraun gegen mich selbst war dadurch völlig zur Rei¬ fe gekommen.
nen gewiſſen Cultus feſtzuſetzen, von welchem weder die Geiſtlichkeit noch die Laien ſich los¬ ſagen duͤrften. Ich fuͤhrte dieſes Thema theils hiſtoriſch, theils raiſonirend aus, in¬ dem ich zeigte, daß alle oͤffentlichen Religio¬ nen durch Heerfuͤhrer, Koͤnige und maͤchtige Maͤnner eingefuͤhrt worden, ja daß dieſes ſo¬ gar der Fall mit der chriſtlichen ſey. Das Beyſpiel des Proteſtantismus lag ja ganz nahe. Ich ging bey dieſer Arbeit um ſo kuͤhner zu Werke, als ich ſie eigentlich nur meinen Vater zu befriedigen ſchrieb, und nichts ſehnlicher wuͤnſchte und hoffte, als daß ſie die Cenſur nicht paſſiren moͤchte. Ich hatte noch von Behriſch her eine unuͤber¬ windliche Abneigung, etwas von mir gedruckt zu ſehn, und mein Umgang mit Herdern hatte mir meine Unzulaͤnglichkeit nur allzu¬ deutlich aufgedeckt, ja ein gewiſſes Mißtraun gegen mich ſelbſt war dadurch voͤllig zur Rei¬ fe gekommen.
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nen gewiſſen Cultus feſtzuſetzen, von welchem
weder die Geiſtlichkeit noch die Laien ſich los¬
ſagen duͤrften. Ich fuͤhrte dieſes Thema
theils hiſtoriſch, theils raiſonirend aus, in¬
dem ich zeigte, daß alle oͤffentlichen Religio¬
nen durch Heerfuͤhrer, Koͤnige und maͤchtige
Maͤnner eingefuͤhrt worden, ja daß dieſes ſo¬
gar der Fall mit der chriſtlichen ſey. Das
Beyſpiel des Proteſtantismus lag ja ganz
nahe. Ich ging bey dieſer Arbeit um ſo
kuͤhner zu Werke, als ich ſie eigentlich nur
meinen Vater zu befriedigen ſchrieb, und
nichts ſehnlicher wuͤnſchte und hoffte, als daß
ſie die Cenſur nicht paſſiren moͤchte. Ich
hatte noch von Behriſch her eine unuͤber¬
windliche Abneigung, etwas von mir gedruckt
zu ſehn, und mein Umgang mit Herdern
hatte mir meine Unzulaͤnglichkeit nur allzu¬
deutlich aufgedeckt, ja ein gewiſſes Mißtraun
gegen mich ſelbſt war dadurch voͤllig zur Rei¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/70>, abgerufen am 21.11.2024.
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