Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

Nur wenige Ausnahmen gab man zu.
Man nannte uns einen Herrn von Grimm,
aber selbst Schöpflin sollte den Gipfel nicht
erreicht haben. Sie ließen gelten, daß er
früh die Nothwendigkeit, sich vollkommen
französisch auszudrücken, wohl eingesehn; sie
billigten seine Neigung, sich Jederman mit¬
zutheilen, besonders aber die Großen und
Vornehmen zu unterhalten; lobten sogar, daß
er, auf dem Schauplatz wo er stand, die
Landessprache zu der seinigen zu machen und
sich möglichst zum französischen Gesellschafter
und Redner auszubilden gesucht. Was hilft
ihm aber das Verleugnen seiner Mutterspra¬
che, das Bemühen um eine fremde? Nie¬
mand kann er es recht machen. In der Ge¬
sellschaft will man ihn eitel finden: als wenn
sich Jemand ohne Selbstgefühl und Selbst¬
gefälligkeit andern mittheilen möchte und könn¬
te! Sodann versichern die feinen Welt- und
Sprachkenner, er disserire und dialogire mehr,
als daß er eigentlich conversire. Jenes ward

Nur wenige Ausnahmen gab man zu.
Man nannte uns einen Herrn von Grimm,
aber ſelbſt Schoͤpflin ſollte den Gipfel nicht
erreicht haben. Sie ließen gelten, daß er
fruͤh die Nothwendigkeit, ſich vollkommen
franzoͤſiſch auszudruͤcken, wohl eingeſehn; ſie
billigten ſeine Neigung, ſich Jederman mit¬
zutheilen, beſonders aber die Großen und
Vornehmen zu unterhalten; lobten ſogar, daß
er, auf dem Schauplatz wo er ſtand, die
Landesſprache zu der ſeinigen zu machen und
ſich moͤglichſt zum franzoͤſiſchen Geſellſchafter
und Redner auszubilden geſucht. Was hilft
ihm aber das Verleugnen ſeiner Mutterſpra¬
che, das Bemuͤhen um eine fremde? Nie¬
mand kann er es recht machen. In der Ge¬
ſellſchaft will man ihn eitel finden: als wenn
ſich Jemand ohne Selbſtgefuͤhl und Selbſt¬
gefaͤlligkeit andern mittheilen moͤchte und koͤnn¬
te! Sodann verſichern die feinen Welt- und
Sprachkenner, er diſſerire und dialogire mehr,
als daß er eigentlich converſire. Jenes ward

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0088" n="80"/>
        <p>Nur wenige Ausnahmen gab man zu.<lb/>
Man nannte uns einen Herrn von Grimm,<lb/>
aber &#x017F;elb&#x017F;t Scho&#x0364;pflin &#x017F;ollte den Gipfel nicht<lb/>
erreicht haben. Sie ließen gelten, daß er<lb/>
fru&#x0364;h die Nothwendigkeit, &#x017F;ich vollkommen<lb/>
franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;ch auszudru&#x0364;cken, wohl einge&#x017F;ehn; &#x017F;ie<lb/>
billigten &#x017F;eine Neigung, &#x017F;ich Jederman mit¬<lb/>
zutheilen, be&#x017F;onders aber die Großen und<lb/>
Vornehmen zu unterhalten; lobten &#x017F;ogar, daß<lb/>
er, auf dem Schauplatz wo er &#x017F;tand, die<lb/>
Landes&#x017F;prache zu der &#x017F;einigen zu machen und<lb/>
&#x017F;ich mo&#x0364;glich&#x017F;t zum franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Ge&#x017F;ell&#x017F;chafter<lb/>
und Redner auszubilden ge&#x017F;ucht. Was hilft<lb/>
ihm aber das Verleugnen &#x017F;einer Mutter&#x017F;pra¬<lb/>
che, das Bemu&#x0364;hen um eine fremde? Nie¬<lb/>
mand kann er es recht machen. In der Ge¬<lb/>
&#x017F;ell&#x017F;chaft will man ihn eitel finden: als wenn<lb/>
&#x017F;ich Jemand ohne Selb&#x017F;tgefu&#x0364;hl und Selb&#x017F;<lb/>
gefa&#x0364;lligkeit andern mittheilen mo&#x0364;chte und ko&#x0364;nn¬<lb/>
te! Sodann ver&#x017F;ichern die feinen Welt- und<lb/>
Sprachkenner, er di&#x017F;&#x017F;erire und dialogire mehr,<lb/>
als daß er eigentlich conver&#x017F;ire. Jenes ward<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[80/0088] Nur wenige Ausnahmen gab man zu. Man nannte uns einen Herrn von Grimm, aber ſelbſt Schoͤpflin ſollte den Gipfel nicht erreicht haben. Sie ließen gelten, daß er fruͤh die Nothwendigkeit, ſich vollkommen franzoͤſiſch auszudruͤcken, wohl eingeſehn; ſie billigten ſeine Neigung, ſich Jederman mit¬ zutheilen, beſonders aber die Großen und Vornehmen zu unterhalten; lobten ſogar, daß er, auf dem Schauplatz wo er ſtand, die Landesſprache zu der ſeinigen zu machen und ſich moͤglichſt zum franzoͤſiſchen Geſellſchafter und Redner auszubilden geſucht. Was hilft ihm aber das Verleugnen ſeiner Mutterſpra¬ che, das Bemuͤhen um eine fremde? Nie¬ mand kann er es recht machen. In der Ge¬ ſellſchaft will man ihn eitel finden: als wenn ſich Jemand ohne Selbſtgefuͤhl und Selbſt¬ gefaͤlligkeit andern mittheilen moͤchte und koͤnn¬ te! Sodann verſichern die feinen Welt- und Sprachkenner, er diſſerire und dialogire mehr, als daß er eigentlich converſire. Jenes ward

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/88
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/88>, abgerufen am 21.11.2024.