Wilhelmen stieg die Röthe ins Gesicht, und die Wangen der artigen Verbrecherin belebten sich gleichfalls durch die reizende Farbe der Schamhaftigkeit. Sie schwieg und stockte, bis die Verlegenheit selbst zuletzt ihren Muth zu erhöhen schien.
Seyn Sie versichert, rief sie aus, daß ich stark genug seyn würde, die Wahrheit zu bekennen, wenn ich auch gegen mich selbst sprechen müßte; sollte ich nun zaudern und stocken, da sie mir Ehre macht? Ja, ich habe ihn von dem Augenblicke an, da ich seiner Neigung und seiner Treue gewiß war, als meinen Ehemann angesehen, ich habe ihm alles gerne gegönnt, was die Liebe fordert, und was ein überzeugtes Herz nicht versa¬ gen kann. Machen Sie nun mit mir, was Sie wollen. Wenn ich einen Augenblick zu gestehen zauderte, so war die Furcht, daß mein Bekenntniß für meinen Geliebten schlim¬
Wilhelmen ſtieg die Röthe ins Geſicht, und die Wangen der artigen Verbrecherin belebten ſich gleichfalls durch die reizende Farbe der Schamhaftigkeit. Sie ſchwieg und ſtockte, bis die Verlegenheit ſelbſt zuletzt ihren Muth zu erhöhen ſchien.
Seyn Sie verſichert, rief ſie aus, daß ich ſtark genug ſeyn würde, die Wahrheit zu bekennen, wenn ich auch gegen mich ſelbſt ſprechen müßte; ſollte ich nun zaudern und ſtocken, da ſie mir Ehre macht? Ja, ich habe ihn von dem Augenblicke an, da ich ſeiner Neigung und ſeiner Treue gewiß war, als meinen Ehemann angeſehen, ich habe ihm alles gerne gegönnt, was die Liebe fordert, und was ein überzeugtes Herz nicht verſa¬ gen kann. Machen Sie nun mit mir, was Sie wollen. Wenn ich einen Augenblick zu geſtehen zauderte, ſo war die Furcht, daß mein Bekenntniß für meinen Geliebten ſchlim¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0125"n="117"/><p>Wilhelmen ſtieg die Röthe ins Geſicht,<lb/>
und die Wangen der artigen Verbrecherin<lb/>
belebten ſich gleichfalls durch die reizende<lb/>
Farbe der Schamhaftigkeit. Sie ſchwieg und<lb/>ſtockte, bis die Verlegenheit ſelbſt zuletzt ihren<lb/>
Muth zu erhöhen ſchien.</p><lb/><p>Seyn Sie verſichert, rief ſie aus, daß<lb/>
ich ſtark genug ſeyn würde, die Wahrheit zu<lb/>
bekennen, wenn ich auch gegen mich ſelbſt<lb/>ſprechen müßte; ſollte ich nun zaudern und<lb/>ſtocken, da ſie mir Ehre macht? Ja, ich habe<lb/>
ihn von dem Augenblicke an, da ich ſeiner<lb/>
Neigung und ſeiner Treue gewiß war, als<lb/>
meinen Ehemann angeſehen, ich habe ihm<lb/>
alles gerne gegönnt, was die Liebe fordert,<lb/>
und was ein überzeugtes Herz nicht verſa¬<lb/>
gen kann. Machen Sie nun mit mir, was<lb/>
Sie wollen. Wenn ich einen Augenblick zu<lb/>
geſtehen zauderte, ſo war die Furcht, daß<lb/>
mein Bekenntniß für meinen Geliebten ſchlim¬<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[117/0125]
Wilhelmen ſtieg die Röthe ins Geſicht,
und die Wangen der artigen Verbrecherin
belebten ſich gleichfalls durch die reizende
Farbe der Schamhaftigkeit. Sie ſchwieg und
ſtockte, bis die Verlegenheit ſelbſt zuletzt ihren
Muth zu erhöhen ſchien.
Seyn Sie verſichert, rief ſie aus, daß
ich ſtark genug ſeyn würde, die Wahrheit zu
bekennen, wenn ich auch gegen mich ſelbſt
ſprechen müßte; ſollte ich nun zaudern und
ſtocken, da ſie mir Ehre macht? Ja, ich habe
ihn von dem Augenblicke an, da ich ſeiner
Neigung und ſeiner Treue gewiß war, als
meinen Ehemann angeſehen, ich habe ihm
alles gerne gegönnt, was die Liebe fordert,
und was ein überzeugtes Herz nicht verſa¬
gen kann. Machen Sie nun mit mir, was
Sie wollen. Wenn ich einen Augenblick zu
geſtehen zauderte, ſo war die Furcht, daß
mein Bekenntniß für meinen Geliebten ſchlim¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/125>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.