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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795.

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Platz vor ihrem Hause, darunter stellte er
seine Sänger, er selbst ruhte auf einer Bank
in einiger Entfernung, und überließ sich ganz
den schwebenden Tönen, die in der labenden
Nacht um ihn säuselten. Unter den holden
Sternen hingestreckt war ihm sein Daseyn
wie ein goldner Traum. -- Sie hört auch
diese Flöten, sagte er in seinem Herzen; sie
fühlt, wessen Andenken, wessen Liebe die
Nacht wohlklingend macht, auch in der Ent¬
fernung sind wir durch diese Melodien zu¬
sammen gebunden, wie in jeder Entfernung
durch die feinste Stimmung der Liebe. Ach
zwey liebende Herzen, sie sind wie zwey
Magnetuhren, was in der einen sich regt,
muß auch die andere mit bewegen, denn es
ist nur Eins, was in beiden wirkt, Eine
Kraft, die sie durchgeht. Kann ich in ihren
Armen eine Möglichkeit fühlen, mich von ihr
zu trennen? und doch, ich werde fern von

Platz vor ihrem Hauſe, darunter ſtellte er
ſeine Sänger, er ſelbſt ruhte auf einer Bank
in einiger Entfernung, und überließ ſich ganz
den ſchwebenden Tönen, die in der labenden
Nacht um ihn ſäuſelten. Unter den holden
Sternen hingeſtreckt war ihm ſein Daſeyn
wie ein goldner Traum. — Sie hört auch
dieſe Flöten, ſagte er in ſeinem Herzen; ſie
fühlt, weſſen Andenken, weſſen Liebe die
Nacht wohlklingend macht, auch in der Ent¬
fernung ſind wir durch dieſe Melodien zu¬
ſammen gebunden, wie in jeder Entfernung
durch die feinſte Stimmung der Liebe. Ach
zwey liebende Herzen, ſie ſind wie zwey
Magnetuhren, was in der einen ſich regt,
muß auch die andere mit bewegen, denn es
iſt nur Eins, was in beiden wirkt, Eine
Kraft, die ſie durchgeht. Kann ich in ihren
Armen eine Möglichkeit fühlen, mich von ihr
zu trennen? und doch, ich werde fern von

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[175/0183] Platz vor ihrem Hauſe, darunter ſtellte er ſeine Sänger, er ſelbſt ruhte auf einer Bank in einiger Entfernung, und überließ ſich ganz den ſchwebenden Tönen, die in der labenden Nacht um ihn ſäuſelten. Unter den holden Sternen hingeſtreckt war ihm ſein Daſeyn wie ein goldner Traum. — Sie hört auch dieſe Flöten, ſagte er in ſeinem Herzen; ſie fühlt, weſſen Andenken, weſſen Liebe die Nacht wohlklingend macht, auch in der Ent¬ fernung ſind wir durch dieſe Melodien zu¬ ſammen gebunden, wie in jeder Entfernung durch die feinſte Stimmung der Liebe. Ach zwey liebende Herzen, ſie ſind wie zwey Magnetuhren, was in der einen ſich regt, muß auch die andere mit bewegen, denn es iſt nur Eins, was in beiden wirkt, Eine Kraft, die ſie durchgeht. Kann ich in ihren Armen eine Möglichkeit fühlen, mich von ihr zu trennen? und doch, ich werde fern von

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/183>, abgerufen am 23.11.2024.