Platz vor ihrem Hause, darunter stellte er seine Sänger, er selbst ruhte auf einer Bank in einiger Entfernung, und überließ sich ganz den schwebenden Tönen, die in der labenden Nacht um ihn säuselten. Unter den holden Sternen hingestreckt war ihm sein Daseyn wie ein goldner Traum. -- Sie hört auch diese Flöten, sagte er in seinem Herzen; sie fühlt, wessen Andenken, wessen Liebe die Nacht wohlklingend macht, auch in der Ent¬ fernung sind wir durch diese Melodien zu¬ sammen gebunden, wie in jeder Entfernung durch die feinste Stimmung der Liebe. Ach zwey liebende Herzen, sie sind wie zwey Magnetuhren, was in der einen sich regt, muß auch die andere mit bewegen, denn es ist nur Eins, was in beiden wirkt, Eine Kraft, die sie durchgeht. Kann ich in ihren Armen eine Möglichkeit fühlen, mich von ihr zu trennen? und doch, ich werde fern von
Platz vor ihrem Hauſe, darunter ſtellte er ſeine Sänger, er ſelbſt ruhte auf einer Bank in einiger Entfernung, und überließ ſich ganz den ſchwebenden Tönen, die in der labenden Nacht um ihn ſäuſelten. Unter den holden Sternen hingeſtreckt war ihm ſein Daſeyn wie ein goldner Traum. — Sie hört auch dieſe Flöten, ſagte er in ſeinem Herzen; ſie fühlt, weſſen Andenken, weſſen Liebe die Nacht wohlklingend macht, auch in der Ent¬ fernung ſind wir durch dieſe Melodien zu¬ ſammen gebunden, wie in jeder Entfernung durch die feinſte Stimmung der Liebe. Ach zwey liebende Herzen, ſie ſind wie zwey Magnetuhren, was in der einen ſich regt, muß auch die andere mit bewegen, denn es iſt nur Eins, was in beiden wirkt, Eine Kraft, die ſie durchgeht. Kann ich in ihren Armen eine Möglichkeit fühlen, mich von ihr zu trennen? und doch, ich werde fern von
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0183"n="175"/>
Platz vor ihrem Hauſe, darunter ſtellte er<lb/>ſeine Sänger, er ſelbſt ruhte auf einer Bank<lb/>
in einiger Entfernung, und überließ ſich ganz<lb/>
den ſchwebenden Tönen, die in der labenden<lb/>
Nacht um ihn ſäuſelten. Unter den holden<lb/>
Sternen hingeſtreckt war ihm ſein Daſeyn<lb/>
wie ein goldner Traum. — Sie hört auch<lb/>
dieſe Flöten, ſagte er in ſeinem Herzen; ſie<lb/>
fühlt, weſſen Andenken, weſſen Liebe die<lb/>
Nacht wohlklingend macht, auch in der Ent¬<lb/>
fernung ſind wir durch dieſe Melodien zu¬<lb/>ſammen gebunden, wie in jeder Entfernung<lb/>
durch die feinſte Stimmung der Liebe. Ach<lb/>
zwey liebende Herzen, ſie ſind wie zwey<lb/>
Magnetuhren, was in der einen ſich regt,<lb/>
muß auch die andere mit bewegen, denn es<lb/>
iſt nur Eins, was in beiden wirkt, Eine<lb/>
Kraft, die ſie durchgeht. Kann ich in ihren<lb/>
Armen eine Möglichkeit fühlen, mich von ihr<lb/>
zu trennen? und doch, ich werde fern von<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[175/0183]
Platz vor ihrem Hauſe, darunter ſtellte er
ſeine Sänger, er ſelbſt ruhte auf einer Bank
in einiger Entfernung, und überließ ſich ganz
den ſchwebenden Tönen, die in der labenden
Nacht um ihn ſäuſelten. Unter den holden
Sternen hingeſtreckt war ihm ſein Daſeyn
wie ein goldner Traum. — Sie hört auch
dieſe Flöten, ſagte er in ſeinem Herzen; ſie
fühlt, weſſen Andenken, weſſen Liebe die
Nacht wohlklingend macht, auch in der Ent¬
fernung ſind wir durch dieſe Melodien zu¬
ſammen gebunden, wie in jeder Entfernung
durch die feinſte Stimmung der Liebe. Ach
zwey liebende Herzen, ſie ſind wie zwey
Magnetuhren, was in der einen ſich regt,
muß auch die andere mit bewegen, denn es
iſt nur Eins, was in beiden wirkt, Eine
Kraft, die ſie durchgeht. Kann ich in ihren
Armen eine Möglichkeit fühlen, mich von ihr
zu trennen? und doch, ich werde fern von
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/183>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.