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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795.

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wieder in sie hinein, und wenn er sich zur
möglichsten Höhe hinauf gearbeitet hatte,
wenn ihm der Sonnenschein voriger Tage
wieder die Glieder zu beleben, den Busen
zu heben schien, sah er rückwärts auf den
schrecklichen Abgrund, labte sein Auge an der
zerschmetternden Tiefe, warf sich hinunter,
und erzwang von der Natur die bittersten
Schmerzen. Mit so wiederholter Grausam¬
keit zerriß er sich selbst, denn die Jugend,
die so reich an eingehüllten Kräften ist, weiß
nicht, was sie verschleudert, wenn sie dem
Schmerz, den ein Verlust erregt, noch so vie¬
le erzwungene Leiden zugesellt, als wollte sie
dem Verlornen dadurch noch erst einen rech¬
ten Werth geben. Auch war er so über¬
zeugt, daß dieser Verlust der Einzige, der
erste und letzte sey, den er in seinem Leben
empfinden könne, daß er jeden Trost verab¬
scheute, der ihm diese Leiden als endlich vor¬
zustellen unternahm.

wieder in ſie hinein, und wenn er ſich zur
möglichſten Höhe hinauf gearbeitet hatte,
wenn ihm der Sonnenſchein voriger Tage
wieder die Glieder zu beleben, den Buſen
zu heben ſchien, ſah er rückwärts auf den
ſchrecklichen Abgrund, labte ſein Auge an der
zerſchmetternden Tiefe, warf ſich hinunter,
und erzwang von der Natur die bitterſten
Schmerzen. Mit ſo wiederholter Grauſam¬
keit zerriß er ſich ſelbſt, denn die Jugend,
die ſo reich an eingehüllten Kräften iſt, weiß
nicht, was ſie verſchleudert, wenn ſie dem
Schmerz, den ein Verluſt erregt, noch ſo vie¬
le erzwungene Leiden zugeſellt, als wollte ſie
dem Verlornen dadurch noch erſt einen rech¬
ten Werth geben. Auch war er ſo über¬
zeugt, daß dieſer Verluſt der Einzige, der
erſte und letzte ſey, den er in ſeinem Leben
empfinden könne, daß er jeden Troſt verab¬
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[191/0199] wieder in ſie hinein, und wenn er ſich zur möglichſten Höhe hinauf gearbeitet hatte, wenn ihm der Sonnenſchein voriger Tage wieder die Glieder zu beleben, den Buſen zu heben ſchien, ſah er rückwärts auf den ſchrecklichen Abgrund, labte ſein Auge an der zerſchmetternden Tiefe, warf ſich hinunter, und erzwang von der Natur die bitterſten Schmerzen. Mit ſo wiederholter Grauſam¬ keit zerriß er ſich ſelbſt, denn die Jugend, die ſo reich an eingehüllten Kräften iſt, weiß nicht, was ſie verſchleudert, wenn ſie dem Schmerz, den ein Verluſt erregt, noch ſo vie¬ le erzwungene Leiden zugeſellt, als wollte ſie dem Verlornen dadurch noch erſt einen rech¬ ten Werth geben. Auch war er ſo über¬ zeugt, daß dieſer Verluſt der Einzige, der erſte und letzte ſey, den er in ſeinem Leben empfinden könne, daß er jeden Troſt verab¬ ſcheute, der ihm dieſe Leiden als endlich vor¬ zuſtellen unternahm.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/199>, abgerufen am 23.11.2024.