völlig zu überzeugen. Endlich aber hatte er jede Hoffnung der Liebe, des poetischen Her¬ vorbringens und der persönlichen Darstellung, mit triftigen Gründen, so ganz in sich ver¬ nichtet, daß er Muth faßte, alle Spuren sei¬ ner Thorheit, alles, was ihn irgend noch dar¬ an erinnern könnte, völlig auszulöschen. Er hatte daher an einem kühlen Abende ein Kaminfeuer angezündet, und holte ein Reli¬ quienkästchen hervor, in welchem sich hun¬ derterley Kleinigkeiten fanden, die er in be¬ deutenden Augenblicken von Marianen er¬ halten, oder derselben geraubt hatte. Jede vertrocknete Blume erinnerte ihn an die Zeit, da sie noch frisch in ihren Haaren blühte, jedes Zettelchen an die glückliche Stunde, wozu sie ihn dadurch einlud, jede Schleife an den lieblichen Ruheplatz seines Hauptes, ihren schönen Busen. Mußte nicht auf diese Weise jede Empfindung, die er schon lange
völlig zu überzeugen. Endlich aber hatte er jede Hoffnung der Liebe, des poetiſchen Her¬ vorbringens und der perſönlichen Darſtellung, mit triftigen Gründen, ſo ganz in ſich ver¬ nichtet, daß er Muth faßte, alle Spuren ſei¬ ner Thorheit, alles, was ihn irgend noch dar¬ an erinnern könnte, völlig auszulöſchen. Er hatte daher an einem kühlen Abende ein Kaminfeuer angezündet, und holte ein Reli¬ quienkäſtchen hervor, in welchem ſich hun¬ derterley Kleinigkeiten fanden, die er in be¬ deutenden Augenblicken von Marianen er¬ halten, oder derſelben geraubt hatte. Jede vertrocknete Blume erinnerte ihn an die Zeit, da ſie noch friſch in ihren Haaren blühte, jedes Zettelchen an die glückliche Stunde, wozu ſie ihn dadurch einlud, jede Schleife an den lieblichen Ruheplatz ſeines Hauptes, ihren ſchönen Buſen. Mußte nicht auf dieſe Weiſe jede Empfindung, die er ſchon lange
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[196/0204]
völlig zu überzeugen. Endlich aber hatte er
jede Hoffnung der Liebe, des poetiſchen Her¬
vorbringens und der perſönlichen Darſtellung,
mit triftigen Gründen, ſo ganz in ſich ver¬
nichtet, daß er Muth faßte, alle Spuren ſei¬
ner Thorheit, alles, was ihn irgend noch dar¬
an erinnern könnte, völlig auszulöſchen. Er
hatte daher an einem kühlen Abende ein
Kaminfeuer angezündet, und holte ein Reli¬
quienkäſtchen hervor, in welchem ſich hun¬
derterley Kleinigkeiten fanden, die er in be¬
deutenden Augenblicken von Marianen er¬
halten, oder derſelben geraubt hatte. Jede
vertrocknete Blume erinnerte ihn an die Zeit,
da ſie noch friſch in ihren Haaren blühte,
jedes Zettelchen an die glückliche Stunde,
wozu ſie ihn dadurch einlud, jede Schleife
an den lieblichen Ruheplatz ſeines Hauptes,
ihren ſchönen Buſen. Mußte nicht auf dieſe
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/204>, abgerufen am 21.11.2024.
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