Wer weiß, in welchen Zustand ich sie ver¬ setzt habe, und erst nach und nach fällt mir's auf's Gewissen, in welcher Verzweiflung, in welcher Hülflosigkeit ich sie verließ. War's nicht möglich, daß sie sich entschuldigen konn¬ te? War's nicht möglich? Wieviel Mißver¬ ständnisse können die Welt verwirren, wie¬ viel Umstände können dem größten Fehler Vergebung erflehen? -- Wie oft denke ich mir sie, in der Stille für sich sitzend, auf ihren Ellenbogen gestützt. -- Das ist, sagt sie, die Treue, die Liebe, die er mir zu¬ schwur! Mit diesem unsanften Schlag das schöne Leben zu endigen, das uns verband! -- Er brach in einen Strom von Thränen aus, indem er sich mit dem Gesichte auf den Tisch warf, und die übergebliebenen Papiere benetzte.
Werner stand in der größten Verlegen¬ heit dabey. Er hatte sich dieses rasche Auf¬
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Wer weiß, in welchen Zuſtand ich ſie ver¬ ſetzt habe, und erſt nach und nach fällt mir’s auf's Gewiſſen, in welcher Verzweiflung, in welcher Hülfloſigkeit ich ſie verließ. War’s nicht möglich, daß ſie ſich entſchuldigen konn¬ te? War’s nicht möglich? Wieviel Mißver¬ ſtändniſſe können die Welt verwirren, wie¬ viel Umſtände können dem größten Fehler Vergebung erflehen? — Wie oft denke ich mir ſie, in der Stille für ſich ſitzend, auf ihren Ellenbogen geſtützt. — Das iſt, ſagt ſie, die Treue, die Liebe, die er mir zu¬ ſchwur! Mit dieſem unſanften Schlag das ſchöne Leben zu endigen, das uns verband! — Er brach in einen Strom von Thränen aus, indem er ſich mit dem Geſichte auf den Tiſch warf, und die übergebliebenen Papiere benetzte.
Werner ſtand in der größten Verlegen¬ heit dabey. Er hatte ſich dieſes raſche Auf¬
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Wer weiß, in welchen Zuſtand ich ſie ver¬
ſetzt habe, und erſt nach und nach fällt mir’s
auf's Gewiſſen, in welcher Verzweiflung, in
welcher Hülfloſigkeit ich ſie verließ. War’s
nicht möglich, daß ſie ſich entſchuldigen konn¬
te? War’s nicht möglich? Wieviel Mißver¬
ſtändniſſe können die Welt verwirren, wie¬
viel Umſtände können dem größten Fehler
Vergebung erflehen? — Wie oft denke ich
mir ſie, in der Stille für ſich ſitzend, auf
ihren Ellenbogen geſtützt. — Das iſt, ſagt
ſie, die Treue, die Liebe, die er mir zu¬
ſchwur! Mit dieſem unſanften Schlag das
ſchöne Leben zu endigen, das uns verband! —
Er brach in einen Strom von Thränen aus,
indem er ſich mit dem Geſichte auf den
Tiſch warf, und die übergebliebenen Papiere
benetzte.
Werner ſtand in der größten Verlegen¬
heit dabey. Er hatte ſich dieſes raſche Auf¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/219>, abgerufen am 21.11.2024.
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