ruhe schien ihre Zärtlichkeit zu vermehren; sie war das lieblichste Geschöpf in seinen Armen.
Als er aus dem ersten Taumel der Freu¬ de erwachte, und auf sein Leben und seine Verhältnisse zurückblickte, erschien ihm alles neu, seine Pflichten heiliger, seine Liebhabe¬ reyen lebhafter, seine Kenntnisse deutlicher, seine Talente kräftiger, seine Vorsätze ent¬ schiedener. Es ward ihm daher leicht, eine Einrichtung zu treffen, um den Vorwürfen seines Vaters zu entgehen, seine Mutter zu beruhigen und Marianens Liebe ungestört zu genießen. Er verrichtete des Tags seine Ge¬ schäfte pünktlich, entsagte gewöhnlich dem Schauspiel, war Abends bey Tische unterhal¬ tend, und schlich, wenn alles zu Bette war, in seinen Mantel gehüllt, sachte zu dem Garten hinaus und eilte, alle Lindors und Leanders im Busen, unaufhaltsam zu seiner Geliebten.
ruhe ſchien ihre Zärtlichkeit zu vermehren; ſie war das lieblichſte Geſchöpf in ſeinen Armen.
Als er aus dem erſten Taumel der Freu¬ de erwachte, und auf ſein Leben und ſeine Verhältniſſe zurückblickte, erſchien ihm alles neu, ſeine Pflichten heiliger, ſeine Liebhabe¬ reyen lebhafter, ſeine Kenntniſſe deutlicher, ſeine Talente kräftiger, ſeine Vorſätze ent¬ ſchiedener. Es ward ihm daher leicht, eine Einrichtung zu treffen, um den Vorwürfen ſeines Vaters zu entgehen, ſeine Mutter zu beruhigen und Marianens Liebe ungeſtört zu genießen. Er verrichtete des Tags ſeine Ge¬ ſchäfte pünktlich, entſagte gewöhnlich dem Schauſpiel, war Abends bey Tiſche unterhal¬ tend, und ſchlich, wenn alles zu Bette war, in ſeinen Mantel gehüllt, ſachte zu dem Garten hinaus und eilte, alle Lindors und Leanders im Buſen, unaufhaltſam zu ſeiner Geliebten.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0028"n="20"/>
ruhe ſchien ihre Zärtlichkeit zu vermehren;<lb/>ſie war das lieblichſte Geſchöpf in ſeinen<lb/>
Armen.</p><lb/><p>Als er aus dem erſten Taumel der Freu¬<lb/>
de erwachte, und auf ſein Leben und ſeine<lb/>
Verhältniſſe zurückblickte, erſchien ihm alles<lb/>
neu, ſeine Pflichten heiliger, ſeine Liebhabe¬<lb/>
reyen lebhafter, ſeine Kenntniſſe deutlicher,<lb/>ſeine Talente kräftiger, ſeine Vorſätze ent¬<lb/>ſchiedener. Es ward ihm daher leicht, eine<lb/>
Einrichtung zu treffen, um den Vorwürfen<lb/>ſeines Vaters zu entgehen, ſeine Mutter zu<lb/>
beruhigen und Marianens Liebe ungeſtört zu<lb/>
genießen. Er verrichtete des Tags ſeine Ge¬<lb/>ſchäfte pünktlich, entſagte gewöhnlich dem<lb/>
Schauſpiel, war Abends bey Tiſche unterhal¬<lb/>
tend, und ſchlich, wenn alles zu Bette war,<lb/>
in ſeinen Mantel gehüllt, ſachte zu dem<lb/>
Garten hinaus und eilte, alle Lindors und<lb/>
Leanders im Buſen, unaufhaltſam zu ſeiner<lb/>
Geliebten.</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[20/0028]
ruhe ſchien ihre Zärtlichkeit zu vermehren;
ſie war das lieblichſte Geſchöpf in ſeinen
Armen.
Als er aus dem erſten Taumel der Freu¬
de erwachte, und auf ſein Leben und ſeine
Verhältniſſe zurückblickte, erſchien ihm alles
neu, ſeine Pflichten heiliger, ſeine Liebhabe¬
reyen lebhafter, ſeine Kenntniſſe deutlicher,
ſeine Talente kräftiger, ſeine Vorſätze ent¬
ſchiedener. Es ward ihm daher leicht, eine
Einrichtung zu treffen, um den Vorwürfen
ſeines Vaters zu entgehen, ſeine Mutter zu
beruhigen und Marianens Liebe ungeſtört zu
genießen. Er verrichtete des Tags ſeine Ge¬
ſchäfte pünktlich, entſagte gewöhnlich dem
Schauſpiel, war Abends bey Tiſche unterhal¬
tend, und ſchlich, wenn alles zu Bette war,
in ſeinen Mantel gehüllt, ſachte zu dem
Garten hinaus und eilte, alle Lindors und
Leanders im Buſen, unaufhaltſam zu ſeiner
Geliebten.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/28>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.