Wir verfielen gar bald auf das Trauer¬ spiel: denn wir hatten oft sagen hören, und glaubten selbst, es sey leichter eine Tragödie zu schreiben und vorzustellen, als im Lust¬ spiele vollkommen zu seyn. Auch fühlten wir uns beym ersten tragischen Versuche ganz in unserm Elemente, wir suchten uns der Höhe des Standes, der Vortreflichkeit der Charaktere, durch Steifheit und Affectation zu nähern, und dünkten uns durchaus nicht wenig; allein vollkommen glücklich waren wir nur, wenn wir recht rasen, mit den Füßen stampfen und uns wohl gar vor Wuth und Verzweiflung auf die Erde wer¬ fen durften.
Knaben und Mädchen waren in diesen Spielen nicht lange beysammen, als die Na¬ tur sich zu regen, und die Gesellschaft sich in verschiedene kleine Liebesgeschichten zu thei¬ len anfing, da denn meistentheils Comödie
W. Meisters Lehrj. E
Wir verfielen gar bald auf das Trauer¬ ſpiel: denn wir hatten oft ſagen hören, und glaubten ſelbſt, es ſey leichter eine Tragödie zu ſchreiben und vorzuſtellen, als im Luſt¬ ſpiele vollkommen zu ſeyn. Auch fühlten wir uns beym erſten tragiſchen Verſuche ganz in unſerm Elemente, wir ſuchten uns der Höhe des Standes, der Vortreflichkeit der Charaktere, durch Steifheit und Affectation zu nähern, und dünkten uns durchaus nicht wenig; allein vollkommen glücklich waren wir nur, wenn wir recht raſen, mit den Füßen ſtampfen und uns wohl gar vor Wuth und Verzweiflung auf die Erde wer¬ fen durften.
Knaben und Mädchen waren in dieſen Spielen nicht lange beyſammen, als die Na¬ tur ſich zu regen, und die Geſellſchaft ſich in verſchiedene kleine Liebesgeſchichten zu thei¬ len anfing, da denn meiſtentheils Comödie
W. Meiſters Lehrj. E
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Wir verfielen gar bald auf das Trauer¬
ſpiel: denn wir hatten oft ſagen hören, und
glaubten ſelbſt, es ſey leichter eine Tragödie
zu ſchreiben und vorzuſtellen, als im Luſt¬
ſpiele vollkommen zu ſeyn. Auch fühlten
wir uns beym erſten tragiſchen Verſuche ganz
in unſerm Elemente, wir ſuchten uns der
Höhe des Standes, der Vortreflichkeit der
Charaktere, durch Steifheit und Affectation
zu nähern, und dünkten uns durchaus nicht
wenig; allein vollkommen glücklich waren
wir nur, wenn wir recht raſen, mit den
Füßen ſtampfen und uns wohl gar vor
Wuth und Verzweiflung auf die Erde wer¬
fen durften.
Knaben und Mädchen waren in dieſen
Spielen nicht lange beyſammen, als die Na¬
tur ſich zu regen, und die Geſellſchaft ſich in
verſchiedene kleine Liebesgeſchichten zu thei¬
len anfing, da denn meiſtentheils Comödie
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/73>, abgerufen am 04.12.2024.
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