Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite
Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg?
Das Maulthier sucht im Nebel seinen Weg,
In Hölen wohnt der Drachen alte Brut,
Es stürzt der Fels und über ihn die Fluth.
Kennst du ihn wohl?
Dahin! Dahin!
Geht unser Weg! o Vater, laß uns ziehn!

Als Wilhelm des Morgens sich nach
Mignon im Hause umsah, fand er sie nicht,
hörte aber, daß sie früh mit Melina ausge¬
gangen sey, welcher sich, um die Garderobe
und die übrigen Theater-Geräthschaften zu
übernehmen, bey Zeiten aufgemacht hatte.

Nach Verlauf einiger Stunden hörte
Wilhelm Musik vor seiner Thüre. Er glaub¬
te anfänglich, der Harfenspieler sey schon
wieder zugegen; allein er unterschied bald
die Töne einer Zitter und die Stimme, wel¬
che zu singen anfing, war Mignons Stim¬

Kennſt du den Berg und ſeinen Wolkenſteg?
Das Maulthier ſucht im Nebel ſeinen Weg,
In Hölen wohnt der Drachen alte Brut,
Es ſtürzt der Fels und über ihn die Fluth.
Kennſt du ihn wohl?
Dahin! Dahin!
Geht unſer Weg! o Vater, laß uns ziehn!

Als Wilhelm des Morgens ſich nach
Mignon im Hauſe umſah, fand er ſie nicht,
hörte aber, daß ſie früh mit Melina ausge¬
gangen ſey, welcher ſich, um die Garderobe
und die übrigen Theater-Geräthſchaften zu
übernehmen, bey Zeiten aufgemacht hatte.

Nach Verlauf einiger Stunden hörte
Wilhelm Muſik vor ſeiner Thüre. Er glaub¬
te anfänglich, der Harfenſpieler ſey ſchon
wieder zugegen; allein er unterſchied bald
die Töne einer Zitter und die Stimme, wel¬
che zu ſingen anfing, war Mignons Stim¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <pb facs="#f0014" n="8"/>
              <lg n="3">
                <l>Kenn&#x017F;t du den Berg und &#x017F;einen Wolken&#x017F;teg?</l><lb/>
                <l>Das Maulthier &#x017F;ucht im Nebel &#x017F;einen Weg,</l><lb/>
                <l>In Hölen wohnt der Drachen alte Brut,</l><lb/>
                <l>Es &#x017F;türzt der Fels und über ihn die Fluth.</l><lb/>
                <l>Kenn&#x017F;t du ihn wohl?</l><lb/>
                <l rendition="#et">Dahin! Dahin!</l><lb/>
                <l>Geht un&#x017F;er Weg! o Vater, laß uns ziehn!</l><lb/>
              </lg>
            </lg>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <p>Als Wilhelm des Morgens &#x017F;ich nach<lb/>
Mignon im Hau&#x017F;e um&#x017F;ah, fand er &#x017F;ie nicht,<lb/>
hörte aber, daß &#x017F;ie früh mit Melina ausge¬<lb/>
gangen &#x017F;ey, welcher &#x017F;ich, um die Garderobe<lb/>
und die übrigen Theater-Geräth&#x017F;chaften zu<lb/>
übernehmen, bey Zeiten aufgemacht hatte.</p><lb/>
            <p>Nach Verlauf einiger Stunden hörte<lb/>
Wilhelm Mu&#x017F;ik vor &#x017F;einer Thüre. Er glaub¬<lb/>
te anfänglich, der Harfen&#x017F;pieler &#x017F;ey &#x017F;chon<lb/>
wieder zugegen; allein er unter&#x017F;chied bald<lb/>
die Töne einer Zitter und die Stimme, wel¬<lb/>
che zu &#x017F;ingen anfing, war Mignons Stim¬<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[8/0014] Kennſt du den Berg und ſeinen Wolkenſteg? Das Maulthier ſucht im Nebel ſeinen Weg, In Hölen wohnt der Drachen alte Brut, Es ſtürzt der Fels und über ihn die Fluth. Kennſt du ihn wohl? Dahin! Dahin! Geht unſer Weg! o Vater, laß uns ziehn! Als Wilhelm des Morgens ſich nach Mignon im Hauſe umſah, fand er ſie nicht, hörte aber, daß ſie früh mit Melina ausge¬ gangen ſey, welcher ſich, um die Garderobe und die übrigen Theater-Geräthſchaften zu übernehmen, bey Zeiten aufgemacht hatte. Nach Verlauf einiger Stunden hörte Wilhelm Muſik vor ſeiner Thüre. Er glaub¬ te anfänglich, der Harfenſpieler ſey ſchon wieder zugegen; allein er unterſchied bald die Töne einer Zitter und die Stimme, wel¬ che zu ſingen anfing, war Mignons Stim¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/14
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/14>, abgerufen am 21.11.2024.