Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

Furcht, es möchte hinter dieser anscheinenden
Ruhe sich ein geheimer Groll verbergen, ein
stiller Vorsatz, den Frevel, den er so zufällig
entdeckt, zu rächen. Sie entschloß sich daher,
Jarno zu ihrem Vertrauten zu machen, und
sie konnte es um so mehr, als sie mit ihm
in einem Verhältnisse stand, in dem man sich
sonst wenig zu verbergen pflegt. Jarno war
seit kurzer Zeit ihr entschiedner Freund, doch
waren sie klug genug, ihre Neigung und ihre
Freuden vor der lermenden Welt, die sie
umgab, zu verbergen. Nur den Augen der
Gräfin war dieser neue Roman nicht ent¬
gangen, und höchst wahrscheinlich suchte die
Baronesse ihre Freundin gleichfalls zu be¬
schäftigen, um den stillen Vorwürfen zu ent¬
gehen, welche sie denn doch manchmal von
jener edlen Seele zu erdulden hatte.

Kaum hatte die Baronesse ihrem Freunde
die Geschichte erzählt, als er lachend ausrief:

W. Meisters Lehrj. K

Furcht, es möchte hinter dieſer anſcheinenden
Ruhe ſich ein geheimer Groll verbergen, ein
ſtiller Vorſatz, den Frevel, den er ſo zufällig
entdeckt, zu rächen. Sie entſchloß ſich daher,
Jarno zu ihrem Vertrauten zu machen, und
ſie konnte es um ſo mehr, als ſie mit ihm
in einem Verhältniſſe ſtand, in dem man ſich
ſonſt wenig zu verbergen pflegt. Jarno war
ſeit kurzer Zeit ihr entſchiedner Freund, doch
waren ſie klug genug, ihre Neigung und ihre
Freuden vor der lermenden Welt, die ſie
umgab, zu verbergen. Nur den Augen der
Gräfin war dieſer neue Roman nicht ent¬
gangen, und höchſt wahrſcheinlich ſuchte die
Baroneſſe ihre Freundin gleichfalls zu be¬
ſchäftigen, um den ſtillen Vorwürfen zu ent¬
gehen, welche ſie denn doch manchmal von
jener edlen Seele zu erdulden hatte.

Kaum hatte die Baroneſſe ihrem Freunde
die Geſchichte erzählt, als er lachend ausrief:

W. Meiſters Lehrj. K
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0153" n="145"/>
Furcht, es möchte hinter die&#x017F;er an&#x017F;cheinenden<lb/>
Ruhe &#x017F;ich ein geheimer Groll verbergen, ein<lb/>
&#x017F;tiller Vor&#x017F;atz, den Frevel, den er &#x017F;o zufällig<lb/>
entdeckt, zu rächen. Sie ent&#x017F;chloß &#x017F;ich daher,<lb/>
Jarno zu ihrem Vertrauten zu machen, und<lb/>
&#x017F;ie konnte es um &#x017F;o mehr, als &#x017F;ie mit ihm<lb/>
in einem Verhältni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;tand, in dem man &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t wenig zu verbergen pflegt. Jarno war<lb/>
&#x017F;eit kurzer Zeit ihr ent&#x017F;chiedner Freund, doch<lb/>
waren &#x017F;ie klug genug, ihre Neigung und ihre<lb/>
Freuden vor der lermenden Welt, die &#x017F;ie<lb/>
umgab, zu verbergen. Nur den Augen der<lb/>
Gräfin war die&#x017F;er neue Roman nicht ent¬<lb/>
gangen, und höch&#x017F;t wahr&#x017F;cheinlich &#x017F;uchte die<lb/>
Barone&#x017F;&#x017F;e ihre Freundin gleichfalls zu be¬<lb/>
&#x017F;chäftigen, um den &#x017F;tillen Vorwürfen zu ent¬<lb/>
gehen, welche &#x017F;ie denn doch manchmal von<lb/>
jener edlen Seele zu erdulden hatte.</p><lb/>
            <p>Kaum hatte die Barone&#x017F;&#x017F;e ihrem Freunde<lb/>
die Ge&#x017F;chichte erzählt, als er lachend ausrief:<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">W. Mei&#x017F;ters Lehrj. K<lb/></fw>
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[145/0153] Furcht, es möchte hinter dieſer anſcheinenden Ruhe ſich ein geheimer Groll verbergen, ein ſtiller Vorſatz, den Frevel, den er ſo zufällig entdeckt, zu rächen. Sie entſchloß ſich daher, Jarno zu ihrem Vertrauten zu machen, und ſie konnte es um ſo mehr, als ſie mit ihm in einem Verhältniſſe ſtand, in dem man ſich ſonſt wenig zu verbergen pflegt. Jarno war ſeit kurzer Zeit ihr entſchiedner Freund, doch waren ſie klug genug, ihre Neigung und ihre Freuden vor der lermenden Welt, die ſie umgab, zu verbergen. Nur den Augen der Gräfin war dieſer neue Roman nicht ent¬ gangen, und höchſt wahrſcheinlich ſuchte die Baroneſſe ihre Freundin gleichfalls zu be¬ ſchäftigen, um den ſtillen Vorwürfen zu ent¬ gehen, welche ſie denn doch manchmal von jener edlen Seele zu erdulden hatte. Kaum hatte die Baroneſſe ihrem Freunde die Geſchichte erzählt, als er lachend ausrief: W. Meiſters Lehrj. K

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/153
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/153>, abgerufen am 24.11.2024.