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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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Ich wünschte, sagte Wilhelm darauf, daß
durch euere Äusserungen weder Neid noch
Eigenliebe durchschiene, und daß ihr jene
Personen und ihre Verhältnisse aus dem rech¬
ten Gesichtspunkte betrachtetet. Es ist eine
eigene Sache, schon durch die Geburt auf
einen erhabenen Platz in der menschlichen
Gesellschaft gesetzt zu seyn. Wem ererbte
Reichthümer eine vollkommene Leichtigkeit
des Daseyns verschaft haben, wer sich, wenn
ich mich so ausdrücken darf, von allem Bey¬
wesen der Menschheit, von Jugend auf,
reichlich umgeben findet, gewöhnt sich meist
diese Güter als das Erste und Größte zu
betrachten, und der Werth einer von der
Natur schön ausgestatteten Menschheit wird
ihm nicht so deutlich. Das Betragen der
Vornehmen gegen Geringere und auch unter
einander, ist nach äussern Vorzügen abge¬
messen; sie erlauben jedem seinen Titel, sei¬

Ich wünſchte, ſagte Wilhelm darauf, daß
durch euere Äuſſerungen weder Neid noch
Eigenliebe durchſchiene, und daß ihr jene
Perſonen und ihre Verhältniſſe aus dem rech¬
ten Geſichtspunkte betrachtetet. Es iſt eine
eigene Sache, ſchon durch die Geburt auf
einen erhabenen Platz in der menſchlichen
Geſellſchaft geſetzt zu ſeyn. Wem ererbte
Reichthümer eine vollkommene Leichtigkeit
des Daſeyns verſchaft haben, wer ſich, wenn
ich mich ſo ausdrücken darf, von allem Bey¬
weſen der Menſchheit, von Jugend auf,
reichlich umgeben findet, gewöhnt ſich meiſt
dieſe Güter als das Erſte und Größte zu
betrachten, und der Werth einer von der
Natur ſchön ausgeſtatteten Menſchheit wird
ihm nicht ſo deutlich. Das Betragen der
Vornehmen gegen Geringere und auch unter
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[186/0194] Ich wünſchte, ſagte Wilhelm darauf, daß durch euere Äuſſerungen weder Neid noch Eigenliebe durchſchiene, und daß ihr jene Perſonen und ihre Verhältniſſe aus dem rech¬ ten Geſichtspunkte betrachtetet. Es iſt eine eigene Sache, ſchon durch die Geburt auf einen erhabenen Platz in der menſchlichen Geſellſchaft geſetzt zu ſeyn. Wem ererbte Reichthümer eine vollkommene Leichtigkeit des Daſeyns verſchaft haben, wer ſich, wenn ich mich ſo ausdrücken darf, von allem Bey¬ weſen der Menſchheit, von Jugend auf, reichlich umgeben findet, gewöhnt ſich meiſt dieſe Güter als das Erſte und Größte zu betrachten, und der Werth einer von der Natur ſchön ausgeſtatteten Menſchheit wird ihm nicht ſo deutlich. Das Betragen der Vornehmen gegen Geringere und auch unter einander, iſt nach äuſſern Vorzügen abge¬ meſſen; ſie erlauben jedem ſeinen Titel, ſei¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/194>, abgerufen am 21.11.2024.