Ich wünschte, sagte Wilhelm darauf, daß durch euere Äusserungen weder Neid noch Eigenliebe durchschiene, und daß ihr jene Personen und ihre Verhältnisse aus dem rech¬ ten Gesichtspunkte betrachtetet. Es ist eine eigene Sache, schon durch die Geburt auf einen erhabenen Platz in der menschlichen Gesellschaft gesetzt zu seyn. Wem ererbte Reichthümer eine vollkommene Leichtigkeit des Daseyns verschaft haben, wer sich, wenn ich mich so ausdrücken darf, von allem Bey¬ wesen der Menschheit, von Jugend auf, reichlich umgeben findet, gewöhnt sich meist diese Güter als das Erste und Größte zu betrachten, und der Werth einer von der Natur schön ausgestatteten Menschheit wird ihm nicht so deutlich. Das Betragen der Vornehmen gegen Geringere und auch unter einander, ist nach äussern Vorzügen abge¬ messen; sie erlauben jedem seinen Titel, sei¬
Ich wünſchte, ſagte Wilhelm darauf, daß durch euere Äuſſerungen weder Neid noch Eigenliebe durchſchiene, und daß ihr jene Perſonen und ihre Verhältniſſe aus dem rech¬ ten Geſichtspunkte betrachtetet. Es iſt eine eigene Sache, ſchon durch die Geburt auf einen erhabenen Platz in der menſchlichen Geſellſchaft geſetzt zu ſeyn. Wem ererbte Reichthümer eine vollkommene Leichtigkeit des Daſeyns verſchaft haben, wer ſich, wenn ich mich ſo ausdrücken darf, von allem Bey¬ weſen der Menſchheit, von Jugend auf, reichlich umgeben findet, gewöhnt ſich meiſt dieſe Güter als das Erſte und Größte zu betrachten, und der Werth einer von der Natur ſchön ausgeſtatteten Menſchheit wird ihm nicht ſo deutlich. Das Betragen der Vornehmen gegen Geringere und auch unter einander, iſt nach äuſſern Vorzügen abge¬ meſſen; ſie erlauben jedem ſeinen Titel, ſei¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0194"n="186"/><p>Ich wünſchte, ſagte Wilhelm darauf, daß<lb/>
durch euere Äuſſerungen weder Neid noch<lb/>
Eigenliebe durchſchiene, und daß ihr jene<lb/>
Perſonen und ihre Verhältniſſe aus dem rech¬<lb/>
ten Geſichtspunkte betrachtetet. Es iſt eine<lb/>
eigene Sache, ſchon durch die Geburt auf<lb/>
einen erhabenen Platz in der menſchlichen<lb/>
Geſellſchaft geſetzt zu ſeyn. Wem ererbte<lb/>
Reichthümer eine vollkommene Leichtigkeit<lb/>
des Daſeyns verſchaft haben, wer ſich, wenn<lb/>
ich mich ſo ausdrücken darf, von allem Bey¬<lb/>
weſen der Menſchheit, von Jugend auf,<lb/>
reichlich umgeben findet, gewöhnt ſich meiſt<lb/>
dieſe Güter als das Erſte und Größte zu<lb/>
betrachten, und der Werth einer von der<lb/>
Natur ſchön ausgeſtatteten Menſchheit wird<lb/>
ihm nicht ſo deutlich. Das Betragen der<lb/>
Vornehmen gegen Geringere und auch unter<lb/>
einander, iſt nach äuſſern Vorzügen abge¬<lb/>
meſſen; ſie erlauben jedem ſeinen Titel, ſei¬<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[186/0194]
Ich wünſchte, ſagte Wilhelm darauf, daß
durch euere Äuſſerungen weder Neid noch
Eigenliebe durchſchiene, und daß ihr jene
Perſonen und ihre Verhältniſſe aus dem rech¬
ten Geſichtspunkte betrachtetet. Es iſt eine
eigene Sache, ſchon durch die Geburt auf
einen erhabenen Platz in der menſchlichen
Geſellſchaft geſetzt zu ſeyn. Wem ererbte
Reichthümer eine vollkommene Leichtigkeit
des Daſeyns verſchaft haben, wer ſich, wenn
ich mich ſo ausdrücken darf, von allem Bey¬
weſen der Menſchheit, von Jugend auf,
reichlich umgeben findet, gewöhnt ſich meiſt
dieſe Güter als das Erſte und Größte zu
betrachten, und der Werth einer von der
Natur ſchön ausgeſtatteten Menſchheit wird
ihm nicht ſo deutlich. Das Betragen der
Vornehmen gegen Geringere und auch unter
einander, iſt nach äuſſern Vorzügen abge¬
meſſen; ſie erlauben jedem ſeinen Titel, ſei¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/194>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.