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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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in den Sinn seines Autors, wenn er nicht
in die Absichten desselben einzudringen ver¬
steht? Ich habe den Fehler, ein Stück aus
einer Rolle zu beurtheilen, eine Rolle nur
an sich und nicht im Zusammenhange mit
dem Stück zu betrachten, an mir selbst in
diesen Tagen so lebhaft bemerkt, daß ich euch
das Beyspiel erzählen will, wenn ihr mir
ein geneigtes Gehör gönnen wollt.

Ihr kennt Shakespears unvergleichlichen
Hamlet aus einer Vorlesung, die euch noch
auf dem Schlosse das größte Vergnügen
machte. Wir setzten uns vor, das Stück zu
spielen, und ich hatte, ohne zu wissen was
ich that, die Rolle des Prinzen übernommen;
ich glaubte sie zu studieren, indem ich anfing
die stärksten Stellen, die Selbstgespräche und
jene Auftritte zu memoriren, in denen Kraft
der Seele, Erhebung des Geistes und Leb¬
haftigkeit freyen Spielraum haben, wo das

in den Sinn ſeines Autors, wenn er nicht
in die Abſichten deſſelben einzudringen ver¬
ſteht? Ich habe den Fehler, ein Stück aus
einer Rolle zu beurtheilen, eine Rolle nur
an ſich und nicht im Zuſammenhange mit
dem Stück zu betrachten, an mir ſelbſt in
dieſen Tagen ſo lebhaft bemerkt, daß ich euch
das Beyſpiel erzählen will, wenn ihr mir
ein geneigtes Gehör gönnen wollt.

Ihr kennt Shakeſpears unvergleichlichen
Hamlet aus einer Vorleſung, die euch noch
auf dem Schloſſe das größte Vergnügen
machte. Wir ſetzten uns vor, das Stück zu
ſpielen, und ich hatte, ohne zu wiſſen was
ich that, die Rolle des Prinzen übernommen;
ich glaubte ſie zu ſtudieren, indem ich anfing
die ſtärkſten Stellen, die Selbſtgeſpräche und
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[200/0208] in den Sinn ſeines Autors, wenn er nicht in die Abſichten deſſelben einzudringen ver¬ ſteht? Ich habe den Fehler, ein Stück aus einer Rolle zu beurtheilen, eine Rolle nur an ſich und nicht im Zuſammenhange mit dem Stück zu betrachten, an mir ſelbſt in dieſen Tagen ſo lebhaft bemerkt, daß ich euch das Beyſpiel erzählen will, wenn ihr mir ein geneigtes Gehör gönnen wollt. Ihr kennt Shakeſpears unvergleichlichen Hamlet aus einer Vorleſung, die euch noch auf dem Schloſſe das größte Vergnügen machte. Wir ſetzten uns vor, das Stück zu ſpielen, und ich hatte, ohne zu wiſſen was ich that, die Rolle des Prinzen übernommen; ich glaubte ſie zu ſtudieren, indem ich anfing die ſtärkſten Stellen, die Selbſtgeſpräche und jene Auftritte zu memoriren, in denen Kraft der Seele, Erhebung des Geiſtes und Leb¬ haftigkeit freyen Spielraum haben, wo das

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/208>, abgerufen am 21.11.2024.