stützte sich auf ihre Hand, und sah unsern Freund an, der mit der größten Versiche¬ rung, daß er Recht habe, also zu reden fort¬ fuhr: es gefällt uns so wohl, es schmeichelt so sehr, wenn wir einen Helden sehen, der durch sich selbst handelt, der liebt und haßt, wenn es ihm sein Herz gebietet, der unter¬ nimmt und ausführt, alle Hindernisse abwen¬ det und zu einem großen Zwecke gelangt. Geschichtsschreiber und Dichter möchten uns gerne überreden, daß ein so stolzes Loos dem Menschen fallen könne. Hier werden wir anders belehrt; der Held hat keinen Plan, aber das Stück ist planvoll. Hier wird nicht etwa durch eine starr und eigensinnig durch¬ geführte Idee von Rache ein Bösewicht be¬ straft, nein es geschieht eine ungeheure That, sie wälzt sich in ihren Folgen fort, reißt Un¬ schuldige mit; der Verbrecher scheint dem Abgrunde, der ihm bestimmt ist, ausweichen
ſtützte ſich auf ihre Hand, und ſah unſern Freund an, der mit der größten Verſiche¬ rung, daß er Recht habe, alſo zu reden fort¬ fuhr: es gefällt uns ſo wohl, es ſchmeichelt ſo ſehr, wenn wir einen Helden ſehen, der durch ſich ſelbſt handelt, der liebt und haßt, wenn es ihm ſein Herz gebietet, der unter¬ nimmt und ausführt, alle Hinderniſſe abwen¬ det und zu einem großen Zwecke gelangt. Geſchichtsſchreiber und Dichter möchten uns gerne überreden, daß ein ſo ſtolzes Loos dem Menſchen fallen könne. Hier werden wir anders belehrt; der Held hat keinen Plan, aber das Stück iſt planvoll. Hier wird nicht etwa durch eine ſtarr und eigenſinnig durch¬ geführte Idee von Rache ein Böſewicht be¬ ſtraft, nein es geſchieht eine ungeheure That, ſie wälzt ſich in ihren Folgen fort, reißt Un¬ ſchuldige mit; der Verbrecher ſcheint dem Abgrunde, der ihm beſtimmt iſt, ausweichen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0311"n="302"/>ſtützte ſich auf ihre Hand, und ſah unſern<lb/>
Freund an, der mit der größten Verſiche¬<lb/>
rung, daß er Recht habe, alſo zu reden fort¬<lb/>
fuhr: es gefällt uns ſo wohl, es ſchmeichelt<lb/>ſo ſehr, wenn wir einen Helden ſehen, der<lb/>
durch ſich ſelbſt handelt, der liebt und haßt,<lb/>
wenn es ihm ſein Herz gebietet, der unter¬<lb/>
nimmt und ausführt, alle Hinderniſſe abwen¬<lb/>
det und zu einem großen Zwecke gelangt.<lb/>
Geſchichtsſchreiber und Dichter möchten uns<lb/>
gerne überreden, daß ein ſo ſtolzes Loos dem<lb/>
Menſchen fallen könne. Hier werden wir<lb/>
anders belehrt; der Held hat keinen Plan,<lb/>
aber das Stück iſt planvoll. Hier wird nicht<lb/>
etwa durch eine ſtarr und eigenſinnig durch¬<lb/>
geführte Idee von Rache ein Böſewicht be¬<lb/>ſtraft, nein es geſchieht eine ungeheure That,<lb/>ſie wälzt ſich in ihren Folgen fort, reißt Un¬<lb/>ſchuldige mit; der Verbrecher ſcheint dem<lb/>
Abgrunde, der ihm beſtimmt iſt, ausweichen<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[302/0311]
ſtützte ſich auf ihre Hand, und ſah unſern
Freund an, der mit der größten Verſiche¬
rung, daß er Recht habe, alſo zu reden fort¬
fuhr: es gefällt uns ſo wohl, es ſchmeichelt
ſo ſehr, wenn wir einen Helden ſehen, der
durch ſich ſelbſt handelt, der liebt und haßt,
wenn es ihm ſein Herz gebietet, der unter¬
nimmt und ausführt, alle Hinderniſſe abwen¬
det und zu einem großen Zwecke gelangt.
Geſchichtsſchreiber und Dichter möchten uns
gerne überreden, daß ein ſo ſtolzes Loos dem
Menſchen fallen könne. Hier werden wir
anders belehrt; der Held hat keinen Plan,
aber das Stück iſt planvoll. Hier wird nicht
etwa durch eine ſtarr und eigenſinnig durch¬
geführte Idee von Rache ein Böſewicht be¬
ſtraft, nein es geſchieht eine ungeheure That,
ſie wälzt ſich in ihren Folgen fort, reißt Un¬
ſchuldige mit; der Verbrecher ſcheint dem
Abgrunde, der ihm beſtimmt iſt, ausweichen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/311>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.