Ich war indessen in einen handwerks¬ mäßigen Schlendrian gefallen. Ich zog mei¬ ne Tage ohne Freude und Antheil hin, mei¬ ne Ehe war kinderlos und dauerte nur kurze Zeit. Mein Mann ward krank, seine Kräfte nahmen sichtbar ab, die Sorge für ihn un¬ terbrach meine allgemeine Gleichgültigkeit. In diesen Tagen machte ich eine Bekannt¬ schaft, mit der ein neues Leben für mich an¬ fing, ein neues und schnelleres, denn es wird bald zu Ende seyn.
Sie schwieg eine Zeitlang stille, dann fuhr sie fort: auf einmal stockt meine geschwätzige Laune, und ich getraue mir den Mund nicht weiter aufzuthun. Lassen Sie mich ein we¬ nig ausruhen; Sie sollen nicht weggehen, ohne ausführlich all mein Unglück zu wissen. Rufen Sie doch indessen Mignon herein, und hören was sie will.
Das Kind war während Aureliens Er¬
W. Meisters Lehrj. 2. X
Ich war indeſſen in einen handwerks¬ mäßigen Schlendrian gefallen. Ich zog mei¬ ne Tage ohne Freude und Antheil hin, mei¬ ne Ehe war kinderlos und dauerte nur kurze Zeit. Mein Mann ward krank, ſeine Kräfte nahmen ſichtbar ab, die Sorge für ihn un¬ terbrach meine allgemeine Gleichgültigkeit. In dieſen Tagen machte ich eine Bekannt¬ ſchaft, mit der ein neues Leben für mich an¬ fing, ein neues und ſchnelleres, denn es wird bald zu Ende ſeyn.
Sie ſchwieg eine Zeitlang ſtille, dann fuhr ſie fort: auf einmal ſtockt meine geſchwätzige Laune, und ich getraue mir den Mund nicht weiter aufzuthun. Laſſen Sie mich ein we¬ nig ausruhen; Sie ſollen nicht weggehen, ohne ausführlich all mein Unglück zu wiſſen. Rufen Sie doch indeſſen Mignon herein, und hören was ſie will.
Das Kind war während Aureliens Er¬
W. Meiſters Lehrj. 2. X
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Ich war indeſſen in einen handwerks¬
mäßigen Schlendrian gefallen. Ich zog mei¬
ne Tage ohne Freude und Antheil hin, mei¬
ne Ehe war kinderlos und dauerte nur kurze
Zeit. Mein Mann ward krank, ſeine Kräfte
nahmen ſichtbar ab, die Sorge für ihn un¬
terbrach meine allgemeine Gleichgültigkeit.
In dieſen Tagen machte ich eine Bekannt¬
ſchaft, mit der ein neues Leben für mich an¬
fing, ein neues und ſchnelleres, denn es wird
bald zu Ende ſeyn.
Sie ſchwieg eine Zeitlang ſtille, dann fuhr
ſie fort: auf einmal ſtockt meine geſchwätzige
Laune, und ich getraue mir den Mund nicht
weiter aufzuthun. Laſſen Sie mich ein we¬
nig ausruhen; Sie ſollen nicht weggehen,
ohne ausführlich all mein Unglück zu wiſſen.
Rufen Sie doch indeſſen Mignon herein,
und hören was ſie will.
Das Kind war während Aureliens Er¬
W. Meiſters Lehrj. 2. X
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/330>, abgerufen am 29.05.2024.
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